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Die Weltkarte der Kriminalliteratur ist globaler als es scheint

Seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts schreiben Krimiautoren über Mord- und Totschlag
auch an den entferntesten Schauplätzen.
Eine kleine Übersicht von Thomas Wörtche.

 

England, die USA, Frankreich und seit ein paar Jahren noch Skandinavien - die Weltkarte der Kriminalliteratur scheint auf den ersten Blick nicht gerade rasend global zu sein. Das ist natürlich falsch! Denn seit den späten 20er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es auch schon in entfernteren Weltecken literarische Verbrechen und folgerichtig auch Menschen, die sich hauptberuflich und aufklärend damit befassten. Als Gründervater des global crime kann man also mit Fug und Recht den gebürtigen Engländer Arthur W. Upfield bezeichnen, der ab 1929 seinen Aborigines-Cop Napoleon Bonaparte, genannt Bony in Australiens Busch auf Mörderjagd schickte.

In den 60er Jahren öffnete sich das Fenster um einen weiteren Spalt: Inspector Ghote vom C.I.D. in Bombay hatte seinen ersten Auftritt und wurde für seinen Erfinder, H.R.F. Keating zur grossen Erfolgsgeschichte. Keating, der in der Redaktion der London Times auf dem Stuhl von Graham Greene sass, entwarf mit dem schüchtern und zurückhaltend auftretenden, aber ungemein hartnäckigen Ghote einen Prototypen, der einige Züge des später zu TV-Ruhm gekommenen Inspector Columbo aufwies. Allerdings hat Ghote es in der durchaus noch vom Kastenwesen geprägten indischen Gesellschaft recht schwer. Denn er hängt immer von dem jeweiligen machtpolitischen Kalkül seiner Vorgesetzten ab, die ihn ohne mit der Wimper zu zucken in die unmöglichsten, gar lebensbedrohliche Situationen schicken. Aber Ghote ist ein Beisser. Er hat eine ausgeprägte Berufsehre, und findet immer die intelligenteren Schliche, um an sein Ziel zu gelangen. Auch wenn er hin und wieder recht ruppig werden muss, contre coeur, sozusagen. Fazit: Auch nach Jahrzehnten ist Ghote immer noch ein Publikumsliebling, wie der Erfolg seiner gerade neuaufgelegten Bücher beweist.

Josaphat Peabody hingegen richtig liebzuhaben, dürfte schwerfallen. Er ist monströs fett - 250 Pfund Lebendgewicht -, versoffen, dauergeil, wenn`s geht korrupt, und zynisch ohne Ende. Kein Wunder, verkörpert er doch die Kolonialmacht Grossbritannien in Indien. Als deren polizeiliche Autorität hat er die sagenumwobene Malabar-Küste unter sich und entfaltet dort seine beängstigende Effektivität, provozierend langsam, aber unerbittlich mahlend. Schließlich ist es dort heiss, sehr heiss sogar, und Hektik würde bedeuten, die Körpermassen viel zu schnell zu bewegen. Ach, ja, erfunden hat dieses doch irgendwie charmante Monster der Franzose Patrick Boman, und der hat es, damit`s nicht allzu weh tut, an den Anfang des letzten Jahrhunderts gesetzt.

Auch nicht gerade ein Musterbeispiel an politischer Korrektheit ist Kommissar Charitos, der in Athen seinen Dienstgeschäften nachgeht. Erstaunlich an dieser Figur ist die Tatsache, dass das bis dato kriminalliterarisch unauffällige Griechenland, plötzlich mit einer sehr plausiblen Polizisten-Figur aufwartet. Charitos ist muchomacho, übellaunig, hat das Polizeihandwerk noch unter der Militärdiktatur gelernt und ist entsprechend rustikal in seinen Methoden. Ein ziemlich ungeschönter Gesell, den der polyglotte Goethe- und Brecht-Übersetzer Petros Makaris da erfunden hat. Verbrechen sind nicht schön, ihre Aufkärung nicht unbedingt schöner und schon gar keine Angelegenheit für Feingeister. Charitos hat die Probleme nicht, die Feingeister haben - und deswegen ist er eine so faszinierende Figur.

Eine ähnlich pragmatische Type ist Remzi Ünal. Der allerdings ist nicht Polizist, sondern Privatdetektiv in Istanbul. Denn einen positiven türkischen Polizisten zu erfinden, meint Ünals geistiger Vater Celil Oker, sei ausserhalb jeder Glaubwürdigkeit. Remzi Ünal vermeidet auch die Kooperation mit der Polizei bei seinen Fällen, höchstens übergibt er ihr mittels eines anonymen Anrufs den Täter, wenn dessen Schuld hundertprozentig feststeht. Immerhin hat Oker mit seiner höchst erfolgreichen Serie eine ganze Welle türkischer Kriminalromane losgetreten, und Istanbul jenseits der üblichen Klischeevorstellungen als spannende, vielschichtige, widersprüchliche und somit als ganz und gar moderne Metropole geschrieben. Kriminalliteratur klipp und klar als Index für gesellschaftliche Verschiebungen.

Gesellschaftliche Verschiebungen en gros gibt es natürlich auch in der VR China - und, wupps, tauchen chinesische Kriminalromane auf, die genau dieses zum Thema haben. Auch wenn der Autor Qui Xiaolong (noch?) im US-amerikanischen Exil leben muss, hat er doch mit seinen Romanen aus Shanghai und seinem Kommissar Chen diese Verwerfungen anhand spannender und sehr realitätstüchtiger Kriminalromane blendend in Geschichten umgesetzt. Denn Polizeiarbeit in einem sich zwar liberalisierenden, aber noch durch und durch totalitären Regime muss zwischen vielen Faktoren der politischen Art lavieren. In einer solchen Gesellschaft werden widerstrebende Kräfte fühlbarer als in der Aussenansicht auch nur ahnbar. Aus dem Ermittler kann schnell das Ziel von Ermittlungen werden, und seine eigene Widersprüchlichkeit ist keinem neurotischen Charakter geschuldet, sondern den harten Fakten des Alltags.

Dieses Problem teilt Chen mit seinem kubanischen Kollegen, Teniente Mario Conde aus Havanna. Dessen Erfinder, Leonardo Padura, lebt weiterhin auf Kuba und hat beinahe die Quadratur des Kreises geschafft: Kriminalromane in einer totalitären Gesellschaft zu schreiben, die deutlich und laut sagen, dass diese Gesellschaft, in der sie auch spielen, marode, korrupt, verbrecherisch ist. Immerhin, Padura kann das tun, obwohl am Ende seiner Havanna-Tetralogie Mario Conde den Polizeidienst quittieren wird. Bis es soweit ist, löst er zunehmend melancholisch und zunehmend desillusioniert seine Fälle, weil auch in üblen Staaten üble Strolche aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Paduras Havanna-Romane sind die ersten nicht-sozialistischen Romane, aus einem sozialistischen Land. Und sie funktionieren, weil sie schon jetzt zum Wichtigsten gehören, was die kubanische und lateinamerikanische Literatur in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Und das heisst angesichts der Tradition dieses Kontinents von Borges bis Taibo ziemlich viel.

Das ist, cum grano salis, auch der Fall bei Kommissar Llob aus der Feder von Yasmina Khadra. Die algerische Kriminalliteratur, die es durchaus schon vor Khadra gab, hat aber mit dieser Triologie gleich einen eminenten Beitrag zur Kriminalliteratur überhaupt geleistet. Drei grotesk komische, manchmal phantasmagorische Romane aus dem Wahnsinn des Bürgerkriegs, in einem Umfeld, das nur von Unsicherheit und Ungewissheit bestimmt ist. Und in dieser blutigen, pulverdampfhaltigen Umgebung entfalten sich Khadras romans noirs weniger als literarisches Kalkül denn als Protokolle des arabischen, mehr noch, des gesamtafrikanischen Wahnsinns.

 

© Thomas Wörtche, 2004
(Asphalt, Dezember 2004)

 

Die Bücher von Arthur W. Upfield erscheinen im Goldmann Verlag; die von H.R.F.Keating werden peu à peu beim Unionsverlag metro neu aufgelegt; Patrick Boman erscheint bei Zebu, Petros Makaris wird bei Diogenes verlegt, Celil Oker beim Unionsverlag metro, Qui Xiaolong beim Zsolnay Verlag, Leonardo Padura beim Unionsverlag metro, wo auch die Lob-Trilogie von Yasmina Khadra als Taschenbuch erscheint, die es auch als HC beim Haymon Verlag gibt.

 

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