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Cream of Crime 11/1993

Martin Cruz-Smith: Das Labyrinth

 

Zehn Jahre hat es gedauert, bis Arkadi Renko nach den blutigen Verwicklungen von "Gorki Park" 1991 auf der "Polar Star" wiederaufgetaucht war. Die Ex-Sowjetunion hat sich inzwischen bekanntlich verändert. Während des Interregnums im Sommer 1991, genau vom 6. bis zum 20. August, spielt der dritte Renko-Roman von Martin Cruz-Smith: "Das Labyrinth". Das Wortspiel des Originaltitels "Red Square" ist leider nicht übersetzbar, ohne eine Pointe des Buches kaputtzumachen. Renko ist wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt, aber was soll ein Polizist in Moskau? Die Welt ist schließlich nicht nur aus den Fugen geraten. So wie Renko sie kennt, gibt es sie nicht mehr. Moskau ist zu einer Phantasmagorie geworden, bevölkert von Schimären und Lemuren. Undurchsichtige Gewalt herrscht. Nicht Anarchie, nicht Chaos, sondern ein neblig-diffuses Zwischenreich ist entstanden, in dem neue Spiele nach neuen Regeln von neuen und alten Spielern gespielt werden.

Erst als es Renko nach Berlin verschlägt, fühlt er sich am Zoo heimisch, auf der Kantstraße, am Savignyplatz. Die, die dort ihr (Un-)Wesen treiben, kennt er: Die Tschetschenen-Mafia, deren Konkurrenz und die Apparatschiks, für die die Gorbatschow-Administration der ideale Selbstbedienungsladen war. Mit den verschiedenen Dissidententypen hatte er vorher schon in München zu tun gehabt. Moskau - München - Berlin - Moskau beschreibt eine tückische genaue Topographie der Umbrüche zwischen Ost und West, die sich anhand der Gewaltkriminalität bestens auf den Punkt bringen lassen.

Die Identität von Politik und Business, die Kontinuität dieser Relation quer und längs durch die Systeme ist ein wichtiges Thema des Romans, der deshalb kein exotisierender Bericht von den erschröcklichen Gebräuchen der "Russenmafia" ist, vor der es unseren Politikos ach so schaudert. Die neue Qualität ist höchstens, daß das Staatsmonopol "Gewalt", von dem die Sowjetmacht ausgiebig Gebrauch gemacht hat, heute privatisiert ist. "Ihr habt uns verdient", erklärt ein alter Tschetschenen-Boss vergnügt dem im Irrgarten des Terrors herumtaumelnden Renko. Terror, der indes auch von einem sonst recht sympathischen deutschen Polizisten ausgeht, der mittels einer Skorpion-Maschinenpistole angewandte Architekturkritik an den Gipsplatten der Friedrichstraße übt: Er durchlöchert sie, "als wären sie aus Papier" - und die draußen Stehenden gleich mit.

"Das Labyrinth" ist ein sehr beunruhigendes Buch. Es verwandelt penibel recherchierte Szenarien in fiebrige Delirien, es treibt gespenstische Magie mit dem allzu Konkreten. Seine Erkenntnisse über diesen Teil der Welt formuliert es nicht in Thesen, sondern in Atmosphären und Bildern, die nur so strotzen vor latenter Gewalt und Bedrohlichkeit. Ein Schwarzmarkt wird zum Pandämonium, eine schicke Vernissage zum rästelhaften Ritual und ein friedlicher Bauern- zum Schlachthof mit Hightech-Equipment.

Martin Cruz-Smith ist es gelungen, den faszinierten Blick auf "das Fremde" kreativ umzuwandeln. Sein Roman ist eben nicht nur eine geographische Verlegung der Cop-Novel nach Rußland (wie die durchweg soliden Romane von Stuart Kaminsky mit dem russischen Polizisten Rostnikow), sondern ein komplexes Sich-Einlassen auf die vielen Implikationen, die der weltweite Paradigmenwechsel mit sich bringt. Daß ein solcher Wurf ausgerechnet aus den USA kommt, könnte dem dumpfen Antiamerikanismus und dem neuerwachten Nationalchauvinismus hierzulande zu denken geben. Cruz-Smith hat den Stoff, der sich auf den Straßen türmt, genutzt. Seine in aufregende Literatur transformierter Blick auf Moskau und München, vor allem aber auf Berlin, hat mehr von den wirklichen Dispositionen dieser Zeit verstanden als Stapel von unbedarften Berlin-Krimis.

© Thomas Wörtche

 

Martin Cruz-Smith:
Das Labyrinth.
(Red Square, 1992)Roman.
Dt. von Hans-Heinrich Wellmann.
München: Heyne 1995
(Hamburg: Hoffmann und Campe 1993).
ca.450 Seiten, DM14,90

Das Labyrinth

 

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