legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Cream of Crime 10/1994

Chester Himes: Plan B.

 

Chester Himes ist eine Schlüsselfigur der Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung und sein Rang als Romancier lassen sich bei weitem nicht mit der Kategorisierung als radikaler, schwarzer, politischer Autor, als scharfsinniger und wütender Chronist des alltäglichen Rassismus fassen. Natürlich ist Himes für das Selbstbewußtsein der afroamerikanischen Literatur bis heute von kaum zu überschätzender Wichtigkeit. Er ist aber auch einer der Autoren, die entscheidenden Anteil daran haben, daß sich das Genre Kriminalroman zu der Literaturform transformiert hat, die auf die immer komplexeren und sperrigeren Realitäten dieser Welt mit Erzählformen reagieren konnte, ohne die narration grundsätzlich zu suspendieren oder zur Spielmünze der Beliebigkeiten zu degradieren. Was Himes seit den späten 50er Jahren in seiner Serie über Harlem an Möglichkeiten der Komisierung, der verstörenden Polyvalenzen entfaltet hat, war ein Paradigmenwechsel in der Kriminalliteratur und somit in der Geschichte des Erzählens überhaupt. Himes' Rezeption lief über Frankreich, wo Autoren wie Manchette und Siniac immer wieder auf seine Relevanz aufmerksam gemacht haben, zurück in die USA, wo sich heutzutage Schriftsteller wie Walter Mosley wieder direkt auf Himes beziehen. In Deutschland fand er nie so richtig statt. Ein paar seiner Romane lagen zwar in Rowohlts Schwarzer Reihe vor, ein paar andere erschienen hin und wieder verstreut und ohne besondere Ambition, die einschlägigen "Geschichten" des Kriminalromans marginalisieren ihn, wenn sie ihn überhaupt erwähnen.

Jetzt plötzlich hat sich der Berliner Alexander-Verlag entschlossen, eine ganze Reihe seiner Texte in Neuübersetzungen vorzulegen - ein Unternehmen, das nicht willkommener sein könnte, wiewohl es einen eher problematischen Anfang nimmt: Man startet mit der von Michel Fabre und Robert E. Skinner herausgegeben Edition von "Plan B", einem Text, den Himes selbst nicht mehr vollenden konnte (oder wollte) und über dessen Entstehungsgeschichte das Nachwort der Herausgeber Auskunft gibt. Fabre und Skinner waren bemüht, die verschiedenen Textfragmente von "Plan B" zu einem "Roman" zu homogenisieren. Das aber verdeckt genau das Ausmaß an Fraktalisierung, das dafür verantwortlich gewesen sein mag, daß Himes selbst mit dem Projekt nicht zurechtgekommen ist. "Plan B", das sind: Bruchteile aus der Harlem-Saga um die beiden schwarzen Detectives Gravedigger Jones und Coffin Ed, eine Vita des schwarzen Radikalen Tomsson Black, historische Südstaaten-Erzählung mit derb-parodistischen Zügen, eingelagerte Traktate über Rassismus, skizzierte Visionen und Dystopien von einem rassistischen Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten und anderes mehr. Man darf spekulieren, was Himes selbst mit diesem Material anfangen wollte, und es ist auf jeden Fall richtig es zu veröffentlichen. Denn es zeigt, welche Bandbreite artistischer Artikulationsformen Himes zur Verfügung standen. Die Fragmente pointieren seinen ohnehin alles zersetzenden bösen Humor, seine verzweifelte Wut, seine apokalyptischen Visionen bis weit über die Schmerzgrenze. Jedes Fragment von "Plan B" ist für sich genommen eine weißglühende Auseinandersetzung mit Rassismus und Sexismus und verweigert gleichzeitig, daraus Thesen abzuleiten. Eine homogenisierende Interpretation, eine Übersetzung in diskursive Aussagen darüber lassen die Texte nicht zu. Ich fürchte, die Kompilation zu einem abgeschlossenen "Werk" ist der Versuch, etwas zu vereindeutigen, was polyvalent ist. Aber das schmälert das Unternehmen nicht, das sich der Verlag vorgenommen hat. Noch schöner freilich wäre, wenn er auch bereit wäre, in eine kongeniale Übersetzung und gelungenere Aufmachung zu investieren.

© Thomas Wörtche

 

Chester Himes: Plan B.
Herausgegeben von Michel Fabre
und Robert E. Skinner.
Deutsch von Petra Schreyer.
Berlin: Alexander Verlag, 1994,
219 Seiten, DM 19,80

 

« Cream of Crime 09/1994 zurück zum Index Cream of Crime 11/1994 »

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen