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Cream of Crime 8/1993

Carl Hiaasen: Große Tiere

 

Carl Hiaasens Roman "Große Tiere" hat eine Botschaft, er bezieht politisch Stellung, er prangert ekelhafte Zustände an, er denunziert seine Figuren. "Große Tiere" erfüllt sämtliche inhaltlichen Kriterien des Soziokrimis, er ist aber dessen Gegenteil - ein abgrundtief komischer Roman.

Thema von "Große Tiere" ist wieder (wie in allen vier Florida-Büchern von Carl Hiaasen) die Zerstörung dieser wunderbaren Landschaft durch brutalste Profitinteressen. Unter dem Tarnmäntelchen des Naturschutzes: Um die Natur so richtig bis zum letzten Cent aussaugen zu können, fälscht man Natur. Mit allen Mitteln - Wissenschaft und Medien arbeiten Hand in Hand, wenn's der Profitmaximierung dient. Die Bataille der Presseerklärungen um das Schicksal der blauzüngigen Mangowühlmaus, die Hiaasen entfacht, ist ein hämischer, bösartiger Kommentar zu Manipulation und Korruption der über den Zustand der Massenmedien viel mehr viel genauer aussagen kann als die Medienkritik in den Medien selbst.

Carl Hiaasen ist eigentlich Journalist beim renommierten Miami Herald und hat so ziemlich alle relevanten Auszeichnungen für investigativen Journalismus erhalten, aber er traut seiner eigenen Profession nicht mehr. Er setzt auf Fiction. Der Thriller ist für ihn die Form, in der sich hemmungslos gegen die abscheulichen Zustände anschreiben läßt: hemmungslos bösartig. Nichts ist zu absurd, nichts zu überzogen, um nicht immer noch hinter die Absurdität der Realität zurückzufallen. Das ganze Ausmaß der Tragödie, die sich in den Everglades und an den Küsten Floridas abspielt, läßt Hiaasen zum kreativen Aberwitz greifen. Nur so kann er sie annähenrd begreifbar machen.

Ohne eine erzähltechnische Miene zu verziehen, wie eine Art Buster Keaton des Thrillers, erzählt Hiaasen ungerührt von der Sentimentalität und feuerwaffengestützten Brutalität alter Damen, von den Karriereträumen schauspielernder Zwerge, der gemütlichen Effektivität hochbezahlter Hitmen, der verblödeten Gewalttätigkeit im Anabolika- und Stereoidfiber delirierender Muskelmänner und der gefährlichen Dummheit mittlerer Gangster und dito Geschäftsleute, von der aufgeblasenen Hohlheit berühmter Sportler und von der malizösen Tötungsbereitschaft seitens für possierlich erachteter Tiere. Letzteren bleibt nichts anderes übrig: Gedemütigt, vorgeführt und eingesperrt schlagen sie zurück. Und das ist kein Horrorszenario, wie wir es aus den üblichen Filmen mit mörderischem Getier kennen, sondern ihr letztes Mittel gegen eine durchgedrehte Menschenwelt.

Der heimliche Held des Romans heißt Dickie und ist ein Delphin. Hiaasens menschliche Helden dagegen: Skink, der Ex-Gouverneur, der outdoor-man, der immer merkwürdiger wird und sein Beschützer, der schwarze State-Trooper Jim Tile, der Skink immer tiefer in die Everglades folgen muß- bekannt und beliebt seit Double Whammy (dt: Miami Morde)-, können das Unheil zwar noch einmal mit Einfallsreichtum und Witz abwenden kann, kämpfen aber zunehmend auf verlorenem Posten. Glücklicherweise ist jedoch Homo sapiens so dumm, sich eine ganze Ladung "diverser freilebender Tiere, zu $ 3755" zu importieren: die Todesfälle in der Gegend nehmen zu. Die Kiste der Pandora ist geöffnet und Carl Hiaasen grinst höhnisch dazu.

"Große Tiere" kennt nur ein einziges Prinzip - die anarchische Komik, die unversöhnlich und gnadenlos gegen Alles und Jeden wütet, keine Kompromisse kennt, keine Grenzen des "guten" Geschmacks, die humane Gesinnung nicht im Wohltemperierten, Ausgewogenen zu artikulieren sucht, sondern nur in der aberwitzigen Eskalation und der schrillen Exaltation. Hiaasens souveräne, eisgekühlte Erzählhaltung verstärkt die Ahnung noch: diese Welt ist nicht mehr zu retten.

© Thomas Wörtche

Carl Hiaasen:
Große Tiere
(Native Tongue, 1991). Roman
Deutsch von Michael Kubiak.
München: C. Bertelsmann 1993;
416 Seiten, DM 42.-

 

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