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Cream of Crime 6/1996

Léo Malet: Die Brücke im Nebel

 

Es ist ein Glücksfall, daß just, als der Elster-Verlag Léo Malets Roman "Die Brücke im Nebel" herausbringt, die Edition Moderne den gleichnamigen Comic, den der französische Zeichner Jacques Tardi und Malet selbst als Szenarist 1982 geschaffen haben, dem deutschen Publikum als Übernahme von Carlsen wieder zugänglich macht. Zwei Versionen derselben Geschichte, das ist reizvoll, das kann einigen Aufschluß über die Möglichkeiten von Roman und von Graphic Novel geben.

Tardi und Malet hatten später mit "120, Rue de la gare" ein Meisterwerk an Atmosphäre, an dichter, überraschender und hochauflösender Kombination von Text und Bild vorgelegt, und Tardi hatte als sein eigener Szenarist mit Malets "Blei in den Knochen" dessen Serien-Figur Nestor Burma selbständig weiterbenutzt. "Die Brücke im Nebel" war die erste gemeinsame Arbeit zweier sehr unterschiedlicher Künstler, die aber dennoch eine fast zwingende Logik hat.

Léo Malet kommt bekanntlich aus der eher surrealistisch-anarchistischen Tradition der französischen Geistesgeschichte und hatte mit seiner "Schwarzen Trilogie (1947/48) ein Schlüsselwerk (nicht nur) der französischen Kriminalliteratur und mit seiner Autobiographie "Stoff für viele Leben" ein rasend spannendes Stück Zeitgeschichte verfaßt. 1943 begann er mit "120, Rue de la gare" die Nestor-Burma-Serie, die ihm in den 80er Jahren späten Ruhm und Ehre einbrachte. Paradoxerweise sind ausgerechnet die Burma-Romane schwache Pastiches auf amerikanische hard-boiled novels; Malets gequälte und verkrampfte Smart-Cracks sind auf die Dauer ärgerlich und können die über die Dürftigkeit der jeweiligen Handlungen nicht hinwegtäuschen. Hilfreich erwies sich aber, daß die Burma-Krimis jeweils ein genau definiertes Territorium behandeln, die verschiedenen Pariser Arrondissements als sozusagen kriminalliterarisch-nostalgische Reiseführer durchstreifen. Das macht vermutlich noch heute den Reiz dieser Bücher aus. Und reizte vermutlich den Zeichner Tardi, der den Romanen Malets in seinen genialen, zwischen Detailrealismus und flächiger Abstraktion hin- und heroszillierenden Panels Atmosphäre und Gestalt gibt.

Tardis Bilder - und in seinen Graphic Novels ist jedes einzelne Panel ein meisterhaft komponiertes und ausgeführtes Bild - geben Malets Vorlagen das, was die selbst nicht haben: Ein Surplus an Rätselhaftigkeit, Polyvalenz und Geheimnis. Es ist faszinierend zu beobachten, wie Tardi die weibliche Hauptfigur Bélita Moralés einführt: Er löst sie aus einem ganz normalen Bildhintergrund heraus und führt sie nach vorne, zu einer wichtigen Rolle - danach betrachtet man jeden anderen Bildhintergrund mit anderen Augen und anderer Aufmerksamkeit. Interessant, wie die Comic-Fassung sich auf die wesentlichen Handlungszüge konzentrieren und diese mittels Bilder zu einer Komplexion aufladen kann, die die Romanvorlage langatmig und eitel verschwatzt.

Es geht in "Die Brücke im Nebel" um den Verrat alter, anarchistischer Ideale und um Loyalität, die zum Tode führen kann. Malets Figuren im Roman zerreden das Thema ins Beliebige. Tardis gezeichnete Gestalten pointieren es. Der Comic erweist sich in diesem Fall als die überlegene Erzählform. Tardi amalgamiert die inneren Disposition der Figuren und deren "Milieu" mit nachgerade ikonographischer Kraft. Damit ist es ihm gelungen, dem Paris der 40er und 50er Jahre eine derart wirkmächtige Bildersprache zu geben, daß sie noch die Wahrnehmung eines heutigen Besuchers der Stadt präformiert. Wir sehen Paris auch mit Tardis Augen.

© Thomas Wörtche

 

Léo Malet:
Die Brücke im Nebel.
(Brouillard au point de tolbiac, 1956).
Dt. von Hans-Joachim Hartstein.
Baden-Baden und Zürich: Elster Verlag 1996.
179 Seiten, DM 28.-

Léo Malet/Jacques Tardi:
Nestor Burma - Die Brücke im Nebel (1982)
Zürich: Edition Moderne, 1996. 75 Seiten, DM 29,80

 

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