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Cream of Crime 4/1996

Nick Tosches: Die Meister des Bösen

 

Erinnern wir uns: Als 1969 Mario Puzos Roman "The Godfather" erschien, herrschte in den Kreisen, die wir uns so als "Mafia" vorstellen, helle Begeisterung: Endlich ein kapitaler Roman, der die schönste PR versprach, endlich ein Mythos, der was hermachte - Sex, Gewalt, gutes Essen und Leidenschaft. Begeistert übernahm man in den unteren Etagen der Firma den Slang, die Garderobe und die Umgangsformen, die Puzo vorgelegt und 1974 Coppola mit dem ersten Paten-Film liebevoll ausgemalt hatte. Eine Fiktion wirkte auf die Wirklichkeit zurück, wenngleich nur auf deren unwichtigere Teile.

Mit dem Spruch "Der Pate der 90er Jahre" wirbt der Verlag jetzt für eine Oper ähnlich epischen Ausmaßes, die der Musikjournalist Nick Tosches unter dem schönen Originaltitel: "Trinities" und dem weniger schönen deutschen Obertitel "Die Meister des Bösen" vorgelegt hat. Der Untertitel "Ein Roman" jedoch zeigt treffend an, mit was wir es zu tun haben: Mit einem Stück purer, reiner, autonomer Literatur, die zudem, intertextuell, mit Puzos Vorlage korrespondiert. Tosches Roman ist ähnlich gebaut wie der "Pate": Die Mafia als Clan ganz normaler Figuren - böse alte Männer, Nachwuchsschurken mit Eheproblemen, kaltblütige, aber an sich ganz gemütliche Killer, verschwiegene Anwälte und sonst dergleichen. Außerdem opulente Gastmähler, Schlachtplatten von erlesener Greulichkeit, gewaltige Geldmengen und garantiert frauenfeindlicher Sex, garniert in den Nebenrollen mit dummen oder korrupten Bullen, käuflichen Politikern und finsteren Gegenspielern. Hier sind es sinistre Asiaten, die, unter dem Deckmantel der Kooperation, zum finalen Kampf mit den alten, dekadenten, müde gewordenen Ehrenwerten Herrschaften antreten. Glauben sie zumindest, denn in Wirklichkeit holen die bösen Greise aus Sizilien und Brooklyn zum letzten, gewaltigen Schlag aus. Eine nachgerade byzantinische Intrige entspinnt sich, deren Fäden Tosches zuweilen aus der Hand zu gleiten drohen. Aber der Eindruck trügt, denn er verspottet solche genre-definierenden Plotverwicklungen mit großem Vergnügen. Am effektivsten an einer Stelle, in der der Flugverkehr über Frankfurt am Main empfindlich durch in der Luft explodierende Drogenkuriere gestört wird. Ein weiteres Objekt von Tosches Spottlust sind all die geheimen Riten, geheimen Traditionen, arkanen historischen Ableitungen, die sowohl die "Mafia" als auch die "Triaden" ins Dämmerlicht der mythischen Unbegreifbarkeit rücken sollen. Tosches ergeht sich in seitenlangen Erörterungen solcher Legenden, um sie dann mit zwei, drei Sätzen zu zerknacken. Genauso wie die erlesenen moralischen Reflexionen seines Protagonisten Johnny Di Pietro, der immer über die letzten Dinge sinnt, aber trotz der gerade verdienten Milliarden Dollars ein halsabschneidereischer Alkoholiker mit Eheproblemen bleibt, ein lächerlicher Wicht.

"Die Meister des Bösen" ist ein virtuoser Scherz über Mafia-Romane, Literatur aus und gegen Literatur, der mit der Realität nichts zu tun hat. Außer ein paar basalen Tatsachen: Drogen sind ein internationaler Wirtschaftsfaktor und somit eine zentrale Komponente von Politik - so wie Waffen, HighTech, Chemie und Börse. Nichts mehr, nichts weniger. Und alles andere (z.B. "Krieg den Drogen") ist schöner Schein. Hier liegt die Verbindung des Märchens von den Monstern aus dem Goldenen Dreieck, Hongkong, Palermo und Brooklyn mit der Wirklichkeit: Sie sind lediglich symbolisch zu verstehen für Strukturen, die keinem einzelnen Entwurf gehorchen. Sie sind zu Konstrukten geronnen, zu bunten Mythen. Zu traurigen, komischen, ironisch verspielten, zu Schwarzem Humor. Reine Fiktion eben.

© Thomas Wörtche

 

Nick Tosches:
Die Meister des Bösen.
(Trinities, 1994) . Ein Roman.
Deutsch von Fritz Schneider.
München: Heyne 1997
(Köln: Kiepenheuer & Witsch 1996).
608 Seiten, 14.90

Die Meister des Bösen

 

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