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Cream of Crime 4/1995

David L. Lindsey: Dunkles Leuchten

 

Die standardisierten und immer wieder repetierten Formeln über das "Ende des Erzählens", die angebliche "Dominanz des Narrativen", die man anscheinend bedauerlich findet, die "Unmöglichkeit" in einer chaotischen Welt noch eine Geschichte zu erzählen, oder die diversen Phrasen wie "spielt mit den Elementen des Thrillers", "spannend wie ein Thriller, aber mehr als ein Thriller" (Beispiele erspare ich mir) - all diese argumentativen Versatzstücke basteln an einer klammheimlichen Hierarchisierung. Derzufolge ist es anscheinend erstrebenswerter, nicht zu erzählen, ist es nobler, begriffliche Diskurse in der Fiktion auszutragen, wertvoller, die Autoreflexion über das Sujet zu setzen, ganz so als würden wir uns immer noch im Geltungsbereich der Ästhetik der klassischen Moderne tummeln. Eine Implikation aber setzt eine solche Argumentation immer voraus: Die Kunstfertigkeit des Erzählens, die Kunst, Spannung zu erzeugen, sei schon so vollkommen, daß man souverän mit diesen Elementen "spielen" könne. Mich hat diese Implikation schon immer skeptisch gemacht. Denn sie bietet auch den noblen Persilschein für die Unfähigkeit, Spannung zu erzeugen, mit dem Material des Erzählens kreativ umzugehen; sie ist ein Ausweg aus dem Mangel, möglicherweise gar nichts außerhalb des Ichs Liegendes mitzuteilen zu haben.

Literatur, die nicht, so wie seit 180 Jahren üblich, andauernd ihre eigenen Voraussetzungen explizit reflektiert, wird als Unterhaltung etikettiert und Unterhaltung ist per se suspekt.

Gegen diesen fatalen Konsens läßt sich schwer anreden, aber anlesen. Zum Beispiel der neue Roman von David L. Lindsey, der ansonsten durch Devianz-Thriller à la "Abgründig" in der Tat problematische Unterhaltungsware geliefert hat. "Dunkles Leuchten" unterscheidet sich jedoch davon. Zwar verzichtet Lindsey auch hier nicht ganz auf einen "Masterplan", gar einen "Mastermind" (den er allerdings radikal demontiert), aber der entscheidende Faktor seiner genialen Intrige ist ein ganz nieder gehängtes Thema: Die Bürokratie und ihre wunderlichen Pfade und Dynamiken. Jede Polizei hat ihre interne Revisionsabteilung - aber wer revidiert die Revisoren? Seit Gogol und Kafka ein Stoff, seit den Möglichkeiten modernen Bürokratien, Verwaltungen und elektronischer Geschäftsverfahren (Informationshighway und Co.) ein Dorado für intelligente Plotter. Wo liegt die Information in der Information, wo die hinter der Information, wo die Täuschung, die Ablenkung, wo die Fiktion, wo die Wahrheit und gibt es die überhaupt? Lindseys Roman funktioniert wie eine heimtückische Sprengfalle. Hinter jeder möglichen Lösung lauert eine womöglich noch bösartigere Verwicklung, aber das ganze Ausmaß läßt sich nicht abschätzen. Auch nicht die Dimensionen, die planbar und die es nicht sind, denn es ergeben sich merkwürdige Eigendynamiken außerhalb jeden Kalküls, Rückkoppelungen und Redundanzen, die niemand mehr beherrscht. Aus einem oberflächlich so spröden, aber brandaktuellen Stoff einen Roman zu machen, der auch den professionellsten Leser einfängt und in die Handlung hineinzieht, also: das kommunikative Potential einer Thriller-Handlung voll ausspielt - das setzt die vollkommene Beherrschung der literarischen Mittel voraus. Nur so kann man einer "Geschichte" ästhetische Relevanz geben, ohne deshalb "unterhaltende" Qualitäten zu suspendieren, Nur so nimmt man die kommunikative Funktion von Literatur ernst.

"Dunkles Leuchten" sei deshalb aus vor allem handwerklichen Gründen allen empfohlen, die sich dafür interessieren, wie intelligente, spannende Literatur funktioniert und daran Spaß haben.

© Thomas Wörtche

 

David L. Lindsey:
Dunkles Leuchten.
(An Absence of Light, 1994).
Roman. Aus dem Amerikanischen
von Elke vom Scheidt.
München: Goldmann 1996, 14.90 DM
(München: Blanvalet, 1995).

Dunkles Leuchten

 

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