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Cream of Crime 3/1994

Andreu Martín: Die Stadt, das Messer und der Tod

 

Der Held von Andreu Martíns Roman "Die Stadt, das Messer und der Tod" ist el hombre de la navaja (so lautet auch der Originaltitel, und nichts, aber auch nichts spricht für die Faßbinder-Konnotation des deutschen Titels), der Messermann. Der Messermann schleicht durch die Straßen Barcelonas und killt Frauen. Oder? Möglicherweise gibt es ihn gar nicht, den wahnsinnigen Killer, das Phantom, das Monster. Möglicherweise sind die zwölf Miniaturen, die Andreu Martín zu einem Alptraum aus Komik und Grauen montiert hat, jede für sich ganz differenziert zu verstehen: Als Gestammel eines Durchgeknallten, als Protokoll eines banalen Doppelmords, als Psychogramm eines Möchtegern-Killers, als reine Fiktion eines fiktiven Schriftstellers. Wer weiß?

Und wer weiß schon wirklich etwas über einen Serialkiller? Die diversen ExpertInnenrunden, die Martín uns ständig aus dem Radio und aus dem Fernsehen mit ihren Geplapper überziehen läßt - marxistische Positionen hie, feministische da, und alle gleich idiotisch - diese Experten wissen schon mal gar nichts. Nichts wissen auch die Verfasser von Kriminalromanen, denn "die Realität ist nicht einmal so, wie sie sein sollte".

"Die Stadt, das Messer und der Tod" hat endgültig alles in tausendfache Brechungen aufgelöst, was die Definitionsgrundlagen eines "Thrillers" ehemals ausgemacht hat: Tat und Aufklärung, Verbrecher und Held, Sozialanalyse und positive Gewissheit über die Aufklärbarkeit der Welt, Rätsel und Ratio, Anfang und Ende - an Martíns Buch zerplatzen diese Raster, sie werden irrelevant. Was bleibt ist die konkrete Topographie von Barcelona (die die Übersetzerin leider nicht immer beherrscht), die Atmosphäre des Vieldeutigen, Bedrohlichen, wo ein Gespräch im Metzgerladen zum reinsten Horrortrip gerät, und eine Galerie von Figuren, die man höchstens vorschnell als völlig abgedreht bezeichnen könnte, bis man merkt, wie alltäglich diese reizenden Leute doch sind. Aber auch diese Existentialismen werden von Andreu Martíns ständiger Spottlust überzogen. Gewiß ist gar nichts mehr.

Bis auf eines: Sein Roman ist trotz allem keine leblose Metafiction. Das verrückte Kaleidoskop aus Gewalt, Bedrohung und Irrsinn zaubert ein fiebriges Panorama des ganz normalen Stadltebens im ausgehenden 20. Jahrhundert, vor dem die Ordnugsstrukturen konventionellen Erzählens schon längst kapituliert haben. Wahrnehmung ist zu großen Teilen medial verfaßt - alle Personen haben über den Messermann gehört oder gelesen, so wie die Serialkiller-Romane von Thomas Harris & Co. in aller Bewußtsein sind -, aber hinter den Fiktionen stecken Realitäten wie der untalentierte Killerazubi schmerzhaft lernen muß, zumindest in der Fiktion des Romans, der auch nur mit dem Waterman-Füller geschrieben ist, zumindest im Roman.

"Die Stadt, das Messer und der Tod" ist auch ein sehr spottlustiger Text über die Zumutungen, die man dem braven "Krimi" aufgebürdet hat - nämlich die Welt (in diesem Fall einen psychopathischen Killer) zu erklären, wie sie wirklich ist. Zwölf Perspektiven bietet Andreu Martín an, nicht nur um sie sofort wieder zu dementieren, sondern um sie, noch mehr tricky, alle die eine Wahrheit ergeben zu lassen: Daß es keine eine gibt, aber eine Menge ganz fürchterlicher Wahrheiten. Wer sich jetzt endgültig im Labyrinth von Martíns Spielen um Schein und Sein, um Dichtung und Wahrheit verloren und mutlos fühlt, sei getröstet: Das Buch ist kein bißchen prätentiös oder akademisch konsturiert, sondern in jeder Zeile spanend und komisch, pathetisch und cool, schlicht: umwerfend packend und unterhaltend. Was soll Literatur mehr?

© Thomas Wörtche

 

Andreu Martín:
Die Stadt, das Messer und der Tod.
(El Hombre de la Navaja, 1993)
Roman. Deutsch von Marion Lüttke.
Frankfurt am Main: Fischer Verlag 1996
(Baden-Baden: Elster Verlag 1994).
ca. 280 Seiten, DM 14, 90

 

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