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Cream of Crime 2/1996

Joseph R. Garber: Der Schacht

 

Die Grundkonstellation des Romans "Der Schacht" von Joseph R. Garber ist ein Alptraum für jeden Paranoiker. Ein leitender Angestellter, guter Ehemann und langweiliger Durchschnitt, lediglich sportiv (das wird er brauchen), kommt morgens in sein Büro im 45. Stock eines New Yorker Hochhauses, und sein Chef will ihn umbringen. Das will dann ein jeder, dem er in den nächsten Stunden begegnet. Fremde Männer sind hinter ihm her, sein bester Freund wirft mit einer Kaffeekanne nach ihm, seine Ehefrau denunziert ihn, er ist ganz allein und auf sich selbst gestellt. Und dann geht die Post ab. Hochhaus rauf und runter, mit Sprengfallen, der guten alten Schmierseife und explodierenden Mikrowellenherden, übers Dach und die Fassaden rauf und runter, zur Entspannung ein bißchen übers flache Land, dann wieder ins Hochhaus.

Günstigerweise stellt sich bald noch eine Unschuld in Not ein, die gerettet werden muß und gerettet werden wird. Tempo und Action pur, Slapstick und makabrer Humor - kein Stilmittel aus dem Entertainment des 20. Jahrhunderts bleibt ungenutzt, Garber montiert alle Elemente aus Abenteuerliteratur und Kino mit unverschämter und dreister Fröhlichkeit und erheblichem technischen Können zu einem atemberaubend spannenden Potpourrie der zündenlnden und knallenden Effekte. Der Roman als Geisterbahn und die purzelnden Leichen als die Keystone Cops der neunziger Jahre. Das alles inszeniert Garber mit feixender Offenheit und charmantem Grinsen; keine Frage, daß er die Chaostage im Büroturm keine Sekunde lang ernst nimmt.

Aber er weiß auch, daß es postmoderner Exegetensport geworden ist, im dollsten Unterhaltungsprodukt, im schrillsten Scherz & Frohsinn noch nach einem vermeintlich subversiven Subtext zu suchen, dem Dementi der Botschaft, daß es keine Botschaft gibt, hinterherzufahnden. Für diese Sorte bierernster Auslegungskünstler und -innen bereitet Garber mit diabolischen Vergnügen einen sehr schönen Unterboden. Dave Elliot, der Held, war - natürlich - in Vietnam und dort bei einer Spezialeinheit der menschenverachtenden Art. Die Typen, die jetzt hinter ihm her sind, kommen aus der gleichen Schule. Welch großartige Parabel also auf eine Gesellschaft, die Killer ausbildet, um sie dann von Killern wieder wegräumen zu lassen. Wie tief hat doch das Vietnam-Trauma im amerikanische Mann gewütet. So tief, daß jeder geldgeile Autor von schlechten Serial-Killer- oder Kaputte-Typen-Romanen nur "Vietnam" zu brüllen braucht, und schon steht die Zeitgeist-Journaille Gewehr bei Föteljong & Fietscher und läßt sich Dienstreisen nach New York bezahlen und schwatzt, je offensichtlicher der Fake ist, desto tiefsinniger von der Parabelhaftigkeit schlechter Prosa, die sowieso nur auf Abverkauf ausgelegt ist.

Mit diesem Reflex fährt Garber Schlitten. Er legt ihn an, er reizt ihn aus. Er baut grausliche Schockmomente ein, schreit "buuuh" wie in den alten Universal-Horror-Filmen der 40er und läßt am Ende den ganzen Mummenschanz über die Klinge springen, d.h. aus dem Fenster des 45. Stocks flattern. Ins Happy End - und aus den mühsam zusammengebastelten Rahmen der Theoriebildung heraus. Und weil er gerade so schön am Parodieren ist, baut er noch ein Zeitgeist-Thema ein: Killerviren bedrohen die Welt. So auch hier, aber das Gegenmittel gegen diese speziellen Viren wird nicht verraten.

"Der Schacht" ist ein rasanter, schwarzhumoriger Scherz über 365 Seiten, der mit tieferer Bedeutung genauso souverän Schabernack treibt wie mit den Gesetzen der Physik. Ein Roman, der sich erlaubt, nur eines zu tun: Zu unterhalten.

© Thomas Wörtche

 

Joseph R. Garber:
Der Schacht.
(Vertical Run, 1995).
Roman. Deutsch von Christian Spiel
und Sonja Hauser.
München, Zürich: Piper.1997
(München, Zürich: Piper. 1995).
364 Seiten, 16.90

Der Schacht

 

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