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Cream of Crime 2/1995

Reg Gadney: Totzeit

 

Bei uns wundert man sich ja schon lange nicht mehr: Wiedervereinigung, Neue Russen, Korruption allerorten, verschwundene Milliarden und -däre, knuffig neue Formen von Kriminalität allerorten, Atom-Mafia und Deutsche Bank - aber wer macht daraus Romane auf Niveau?

Aus Großbritannien kamen seinerzeit immerhin ein paar gute Bücher zum Golfkrieg und was sonst so den Inselbewohner umtreibt (wenn auch nicht unbedingt auf den deutschen Markt), aber man hatte wenigstens das Gefühl, daß die Verfasser von Polit-Thrillern sich nicht gänzlich vom Zusammenbruch der alten "Weltordnung" hatten entmutigen lassen. Sie zogen mit ihren Stoffen gen Afrika und Asien und Lateinamerika. Etwas öde sah es in letzter Zeit mit einer Spielart des Polit-Thrillers aus, die im UK eine gewisse Tradition hatt: Die innenpolitische Paranoia, was Geheimdienste wohl so alles mit dem eigenen Volk treiben. Wir erinnern uns: Bis vor ein paar Jahren dementierte die Regierung Ihrer Majestät noch ernsthaft, daß sie überhaupt Geheimdienste unterhält. Alle Secret-Service-Angelegenheiten waren offiziell strengstens off limits and off records - eine solche lächerliche und rigide Politik brachte die Briten schon früh darauf, ihren Diensten alles, aber auch alles zuzutrauen. Zurecht, denn parlamentarische Kontrolle konnte man eher unter Ulk verbuchen. Also darf man mit Fug vermuten, daß die einzelnen Dienste im Lauf der Jahre ein sehr schönes Eigenleben entwickelt haben. Der berühmte MI 5 zum Beispiel (das ist der, der für's eigene Territorium zuständig ist, der MI 6 sollte eigentlich nach außen agieren) hat es qua Amt unter anderem mit der IRA zu tun. Und wenn eine Bombe mitten in London hochgeht, dann war es meistens auch die IRA. Sollte man meinen. Hier setzt der raffinierte Roman von Reg Gadney an: "Totzeit" - das meint die Zeit zwischen zwei Einsätzen, während der ein Agent oder eine Agentin sich konzentriert und vorbereitet, nicht rührt. Die Agentin, man könnte "Terroristin" sagen (das ist eine Frage der Sprachregelung), um die es in dem Buch geht, hat bei der IRA "gelernt", sich mittlerweile selbständig gemacht und zur Zeit einen besonders spannenden Klienten. Denn Geheimdienste haben nicht nur ein Eigenleben, sie bewegen auch große Geldsummen und bestehen, last not least, aus Menschen. Und wo viele Menschen zusammenarbeiten, ist's menschlich. Es gibt Liebe und Eifersucht und Haß und Ehrgeiz und Karriere. Dazu in diesem Fall das Know How und die Möglichkeiten, die ein Geheimdienst zu bieten haben. Ferner Kompetenzwirrwarr der verschiedenen mit der "Inneren Sicherheit" befaßten Behörden - von der Zollfahndung bis zur Metropolitan Police -, und politische Rücksichtsnahmen der schmierigen und geldwerten Art sind auch im Spiel. Niemand blickt mehr durch, nur an einem läßt Gadney keinen Zweifel: Staatliche Organisationen und das vielbeschworene Gemeinwohl - das sind sehr, sehr unterschiedliche Dinge.

"Totzeit" ist ein rasanter Paranoiathriller, gespickt mit verblüffenden Wendungen, plausiblen Figuren, therapeutischer Skepsis, penibel re-konstruierten Schauplätzen und bar jeder Langeweile. Der Roman benutzt ein Verfahren, das zur Zeit im Umgang mit einer durchgedrehten Welt das probateste zu sein scheint: Inszeniere (am besten nach der Methode Paranoia: komisch und bizarr), was der Fall sein könnte, um dem, was der Fall ist, literarische Wahrheit, Überzeugungskraft und Atmosphäre zu geben. Insofern ist "Totzeit" ein beklemmend genauer Roman über die Befindlichkeiten Großbritanniens hier und heute.

© Thomas Wörtche

Reg Gadney:
Totzeit.
(Just When We Are Safest, 1995).
Roman. Aus dem Englischen von
Birgit Lamerz-Beckschäfer.
München: dtv 1997, 16.90 DM
(Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995).

Totzeit

 

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