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Cream of Crime 2/1994

Jorge Luis Borges / Adolfo Bioy Casares:

Sechs Aufgaben für Don Isidro Parodi

 

Die Kriminalgeschichte als intellektuelles Exerzitium hatte mit E. A. Poe ihren Anfang, mit den "Sechs Aufgaben für Don Isidro Parodi", von H. Bustos Domecq ihr brillantes Ende. Zwischen Poes The Murders in the Rue Morgue und den "Sechs Aufgaben" lagen die Stories und Romane von Arthur Conan Doyle, die Geschichten von Gilbert Keith Chesterton, die Romane von Agatha Christie und die Anfänge von Hammett und Chandler. Allen gemeinsam ist die Auflösung eines (Mord-)Rätsels durch einen überlegenen Intellekt - der Sieg der Ratio über das Dunkel. Während jeodch die Christie und ihre "Schule" sich um die ästhetische Inszenierung dieses Strukturprinzipes nicht sonderlich geschert haben, Hammett und Chandler letztendlich radikal unterschiedliche Intentionen hatten, hat Domecq alias Jorge Luis Borges & Adolfo Bioy Casares vielleicht ein letztes Mal den historischen Unterschied zwischen "Kriminalgeschichte" und "Kriminalgeschichte" herauspräpariert.

"Die sechs Aufgaben" sind perfekte Puzzles in einer fiktionalen Welt, die nichts anderes sein will. Littérature pure, sozusagen. Sie funktionieren im Bezugsrahmen von Anfang, Mitte und Ende eines literarischen Textes, sie haben keine andere Funktion außer sich selbst, bilden nicht Gesellschaft ab, spiegeln nicht Realität und haben kein außerhalb ihrer liegendes aptum, weder These noch Botschaft. Sie sind reine Sprachkunstwerke, und nach nur deren Maßgaben konstruiert. Deshalb kann der Meisterdetektiv Don Isidro Parodi getrost im Gefängnis sitzen und seine Auflösungen durch schieres Nachdenken bewerkstelligen, deshalb können große Teile der Dialoge und Erzählungen der handelnden Personen schierer Nonsens sein und zudem Parodien auf Sprach-Verwendungen, Parodien auf Zitationswut und gleichzeitig andauernd Literatur zitieren. Deshalb sind auch die Parameter der fast ausschließlich mittels ihrer Sprache charakterisierten Figuren keineswegs soziologische, sondern typologische: Aufgeblasenheit, Eitelkeit, Halbbildung, Neid und Mißgunst - Eigenschaften, die für die literarische Auflösbarkeit der Mordfälle relevant sind und für sonst gar nichts.

Nur noch in der totalen Fiktion siedeln Borges und Casares den Triumph des Intellekts über die Verworrenheit des Rätsels an. Deswegen beschreibt Borges in seinen Essays auch die Entwicklung der Kriminalliteratur als Niedergang: dann, wenn sie "realistisch" wird. Wir wissen mittlerweile, daß das so nicht stimmt; aber wir wissen auch, daß Borges und Casares mit den geschlossenen fiktionalen Universen der "Sechs Aufgaben" (die ironischerweise durch ihr Personal miteinander verknüpft sind) gezeigt haben, daß die Kriminalgeschichte des Typus "Rätsel" keine andere Funktion braucht, um als Literatur, also um ästhetisch zu funktionieren. Sie hat es nie besser getan als in den "Sechs Aufgaben". Problematisch und Quell endloser Mißverständnisse wurde Kriminalliteratur dann und dort, wo dem intellektuell-abstrakten Rästel/Auflösungsprinzip ein angeblich stimmiger sozialer, psychologischer etc. Background verpaßt wurde, der lediglich vorgibt, etwas anderes zu leisten als ein möglichst perfektes Rästel möglichst perfekt als ästhetisches Gebilde zu inszenieren. Die Kriminalliteratur ist bald andere Wege gegangen und hat neue Ästhetiken entwickelt. Sie hat ihre trivialen Schrumpfformen hinterlassen, nämlich die, die das Prinzip von Borges/Casares mit sozio-psycho-logischer Aufrüstung zu überdecken versuchen. Diesen grundsätzlichen Unterschied haben Borges und Casares ästhetisch formuliert. In der neuen, von Gisbert Haefs und Fritz Arnold mustergültig edierten Werkausgabe von Jorge Luis Borges sind die "Sechs Aufgaben" mit klugen Kommentaren endlich in sicherer Textgestalt zugänglich.

© Thomas Wörtche

Jorge Luis Borges/Adolfo Bioy Casares:
H. Bustos Domecq: Sechs Aufgaben für Don Isidro Parodi.
In: J.L. Borges: Werke in 20 Bänden.
Mord nach Modell. Erzählungen.
Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1993.
286 Seiten, DM 16, 90

 

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