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Alfred Komarek: Himmel, Polt und Hölle

Eine Leseprobe, mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Haymon Verlags.

 

1 Kapitel: Sommerspiele

Himmel, Polt und Hölle Simon Polt spürte rauhe, rissige Rinde unter seiner Hand. »Wie alt wird so ein Nußbaum?«
    »Weiß ich nicht genau«. Friedrich Kurzbacher schaute zum Blätterdach hinauf. Kaum ein Sonnenstrahl drang durch, aber der Schatten glühte in der Hitze, die seit Wochen über dem Land lag. »Fünfzig, sechzig Jahre, ein Menschenalter vielleicht. Den da hat mein Vater gepflanzt, als ich zur Welt gekommen bin. Aber der Baum ist nicht mehr gut beieinander, seit ihn der Frost erwischt hat, vor drei Jahren.«
    Polt nickte langsam und griff in eine Höhlung des Stammes, an deren Rändern die Rinde auseinanderklaffte wie eine offene Wunde. Er zerrieb morsches Holz zwischen Daumen und Zeigefinger. »Wär schade um ihn, nicht wahr?«
    »Eigentlich sollt ich ihn umsägen. Aber so lang er noch austreibt, im Frühjahr...« Kurzbacher schaute zum Weingarten hinüber, der vor seinem Preßhaus lag. Über den Reben zitterte die Luft. »Regen könnten wir brauchen. Wenn das so weiter geht, gibt's eine Notreife.«
    "Und das bedeutet?«
    »Wässrige Beeren, dünne Weine.«
    »Gott bewahre!«
    Kurzbacher schmunzelte. »Wenn´s um den Wein geht, wird er sogar fromm, der Herr Gendarm. Trinken wir was?«
    »Weiß nicht recht, ich vertrag nicht viel bei der Hitze.«
    »Dann eben wenig.« Der Weinbauer ging auf die offene Preßhaustür zu, und Polt folgte ihm.
Nur den Sommer über war der Aufenthalt in den Preßhäusern wirklich angenehm. Im Herbst gab es jede Menge Arbeit hier, im Winter war es in den kleinen, weißgekalkten Gebäuden eiskalt, und die dicken Mauern hielten die Kälte auch noch im Frühjahr fest. Im Sommer aber blieb die Hitze draußen, und drinnen war es fast so kühl wie in einer Kirche. Polt empfand auch jedesmal so etwas wie unheilige Andacht, wenn er ein Preßhaus betrat. Das mochte am eigentümlichen Geruch liegen, gemischt aus alten Holz und Wein, aber auch die Ausstattung des Raumes hatte damit zu tun. Was der Mensch hier so brauchte, um es bequem zu haben, einen Tisch und irgendwelche Sitzgelegenheiten, war nicht weiter wichtig. Dafür mußten Möbelstücke herhalten, die für den Bauernhof schon viel zu schäbig waren. Aber alle Behältnisse und Gerätschaften, die den Weg der Trauben zum Wein begleiteten, standen würdig und ordentlich da, wie für ein erstarrtes Ritual, das erst wieder zur Zeit der Lese seinem Jahr für Jahr gleichen Ablauf folgen würde.
    Das galt besonders für Preßhäuser wie das von Friedrich Kurzbacher, wo noch eine alte Baumpresse den Raum beherrschte. In den mächtigen Preßbalken war eine Jahreszahl eingeschnitzt: 1779. Damals war Österreich noch eine Monarchie gewesen, und die Bauern mußten sich in das Diktat der Grundherren fügen. Die Gegenwart war durch einen kleinen Wandkalender vertreten, Geschenk der Aloisia Habesam, überaus gut sortiert in Gemischtwaren und Gerüchten. Polt kannte solche Kalender aus seiner Kindheit. Über einem dicken Block mit einem Abreißzettel für jeden Tag des Jahres tanzten zwei Zwerge aus erhaben geprägtem Karton.
    Er hörte die Stimme seines Freundes von der Kellertür her. »Macht´s was? Ich habe eine Flasche Grünen Veltliner offen.«
    »Schon gut!« Polt hatte Durst und nicht nur Durst. Er hatte auch so richtig Lust auf diesen jungen, spritzigen Wein. »Halb voll.« Sagte er trotzdem vorsichtig.
    Der Kurzbacher füllte das Glas bis zum Rand. »Die obere Hälfte, wenn´s recht ist.«
    Sein Gast neigte heiter resignierend den Kopf und nahm einen kräftigen Schluck. Der frische Geschmack von Trauben füllte den Mund, berührte leichthin den Gaumen, und kehrte für einen kleinen verführerischen Abschied wieder. Polt seufzte, streckte behaglich die Beine unter dem Tisch aus, senkte seine Nase und genoß den Duft, der ihn an sonnenheißes Weinlaub erinnerte, an warm leuchtende Herbsttage in der Kellergasse. Das Glas war angenehm kühl in seiner Hand, im strohgelb leuchtenden Wein tanzten hellgrüne Lichter.
    Die zwei Männer tranken eine gute Weile schweigend und ließen die Stille reden, mager und faltig der alte Weinbauer, der Gendarm von achtungsgebietender Leibesfülle.
    Friedrich Kurzbachers Preßhaus stand ein wenig abseits der großen Brunndorfer Kellergasse für sich allein. Auf dem schmalen Güterweg, der sachte ansteigend vom Talboden zum Waldrand am Grünberg führte, gab es wenig Verkehr. In den Weingärten ringsum wurde um diese Zeit kaum gearbeitet, und die Getreidefelder waren abgeerntet. Hier fiel es Simon Polt leicht daran zu glauben, daß die Zeit einfach den Atem anhielt, um einem Gendarmen und seinem Freund Ruhe zu gönnen. Eigentlich gab es keinen wirklich ernst zu nehmenden Grund dafür, den mittlerweile unendlich schwer gewordenen Hintern jemals wieder zu heben Immerhin hob Polt sein Glas und schaute ins blendend helle Sonnenlicht, das durch die Tür und die kleinen Fensteröffnungen drang. »Ein Sommertag und dein Grüner, Friedrich, da fehlt nicht viel zum Paradies!«
    Der Kurzbacher faßte sein Gegenüber irritiert ins Auge. »Jaja, der Wein passt schon in diesem Jahr. Aber vor ein paar Tagen hab ich einen Veltliner vom Höllenbauern gekostet... da kommt unsereiner nicht mit.«
    »Glaub ich nicht.« Sagte Polt, um dem Kurzbacher eine Freude zu machen.
    »Dann verstehst nicht viel.«
    »Auch wieder wahr«, gab der Gendarm friedlich zu. »Weißt du übrigens, daß unser Kirchenwirt, der Franzgreis, einen Zimmergast hat?«
    »Nein. Was für einen?«
    »Einen Wiener. Angeblich will er über unseren Wein schreiben.«
    »Soso.« Der Weinbauer hatte nicht richtig hingehört, weil ihn etwas ablenkte. Sepp Räuschl stand in der Türöffnung und wartete schweigend.
    »Trinkst vielleicht auch was?« fragte der Kurzbacher nach einer Weile.
    Noch immer wortlos trat der Besucher näher, nahm Platz, griff nach dem gefüllten Glas, kostete, nickte anerkennend und grinste.
    »Ist was?« fragte Polt.
    Räuschl trank noch einmal und wischte sich mit der Hand über den Mund. »In der Nacht! Wissen´s das noch nicht, Herr Inspektor?«
    »Ich war nicht im Dienst.«
    »Jemand hat vors Gemeindeamt von Burgheim geschissen. Genau vor die Eingangstür.«
    »Und?«
    »Die Gemeindearbeiter haben´s weggeräumt, zu dritt. Tun ja alles miteinander. Auch das Saufen.«
    »Da hat´s aber einer sehr eilig gehabt.« Kurzbacher griff nach der geleerten Flasche. »Ich hol einen Frischen.«
    Räuschl wandte sich an den Gendarmen. »Wenn sie mich fragen, Herr Inspektor, Notfall war das keiner.«
    »Sondern?«
    »Was weiß ich. Vielleicht einer von den Jungen. Die sind ja mit dem Bürgermeister übers Kreuz seit diesem, na...«
    »Clubbing?«
    »Jaja, in der Art. Möchte wissen, wer so etwas braucht auf dem Land. Früher hat´s ein Kirtag auch getan.«
    »Mit Rauferei, nicht wahr?«
    Inzwischen war der Kurzbacher aus dem Keller zurückgekommen, öffnete die mitgebrachte Flasche, schenkte nach und holte aus einer altmodischen Einkaufstasche Brot und Speck. »Zugreifen, Leute! Viel ist es nicht, war nur für mich gedacht.«
Die drei Männer aßen und tranken und redeten und tranken. Das Sonnenlicht draußen wurde rötlich und erlosch, die langen Schatten versickerten in der Dämmerung, dann wurde es nacht. Kurzbacher hatte Licht gemacht.
    Irgendwann trat Polt ins Dunkel vor dem Preßhaus, um Wasser zu lassen. Er schrak zusammen, als er neben sich eine leise Stimme hörte. »Herr Inspektor! Ist es gestattet?«
    Der Gendarm kannte die Stimme und er kannte den Geruch. Kein Zweifel: Bruno Bartl stand neben ihm. Polt schob ihn ins Preßhaus. »Der Bruno ist am Verdursten, Friedrich!«
    »Na, so was!« Kurzbacher füllte ein Glas, Bartl trank es in einem Zug leer und hielt es mit bittender Gebärde dem Weinbauern hin. Nach dem dritten Glas wurde er ruhiger und setzte sich zu den Männern an den Tisch. Er wohnte unter erbärmlichen Verhältnissen in einer Weingartenhütte, und sein Alltag bestand seit vielen Jahren nur darin, sich irgendwo und irgendwie den täglichen Rausch zu holen. Aber Bartl war ein ruhiger und umgänglicher Mensch mit besseren Manieren als so mancher im Dorf, darum ließ man ihn leben, wie er es wollte. Polt schaute ihm nachdenklich ins Gesicht. Normalerweise zeigte es um diese Zeit nur noch betrunkenen Frieden. Doch diesmal meinte Polt etwas Unruhiges, Gequältes zu erkennen. »Muß ich mir Sorgen machen Bruno?«
    Bartl senkte den Blick. »Angst habe ich. Angstvoll viel Angst.«
    »Ja, und was oder wer macht dir Angst?«
    Bartl hob den Kopf und schaute Polt aus ungewohnt klaren Augen an. »Ich. Ich mach mir Angst.«
    Räuschl lachte, und Kurzbacher legte Bartl den Arm um die schmalen Schultern. »Wie bringst du denn das fertig?«
    Bartl schwieg lange. Dann schob er sein leeres Weinglas von sich und faltete die grindigen Hände. »Mein ist die Rache, spricht der Herr.«
    Polt beugte sich überrascht vor. »Und von wem hast Du das?«
    »Vom lieben Gott.«
    »Gar so lieb klingt das aber nicht.«
    »Nein.« Bartl war aufgestanden, eine kleine, elende Gestalt. »Das ist nämlich so: Ich wachse mir über den Kopf, himmelhoch über den Kopf. So ist das.« Dann ging er.
    Kurzbacher schaute ihm nach. »Der will sich wichtig machen, was?«
    Der Gendarm seufzte. »Wenn ich das nur wüßte.«

 

© Haymon Verlag, 2001
Alle Rechte vorbehalten!

 

Die Polt-Romane:

Alfred Komarek: Polt muss weinen. Roman. Zürich: Diogenes, 2000 (1. Aufl. - Insbruck: Haymon, 1998), 183 S., 15.90 DM, 8.90 Euro (D)
Alfred Komarek: Blumen für Polt. Roman. Zürich: Diogenes, 2001 (1. Aufl. - Innsbruck: Haymon, 2000), 208 S., 16.90 DM, 8.90 Euro (D)
Alfred Komarek: Himmel, Polt und Hölle. Roman. Innsbruck: Haymon, 2001, Hardcover mit Schutzumschlag, 204 S., 34.00 DM, 17.90 Euro (D)

 

Weitere Informationen zu den Polt-Romanen finden Sie in
Wörtches Crime Watch 11/2001.

Weitere Informationen zu Alfred Komarek finden Sie in auf seiner Homepage unter
http://www.retzer-land.co.at/Komarek/.

 

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