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Jaime Bunda - ein unterentwickelter James Bond aus Angola

Ein Interview mit dem Schriftsteller Pepetela.
Von Doris Wieser

 

Pepetela Arthur Carlos Maurício Pestana dos Santos (*1941), besser bekannt unter seinem Guerrilla-Namen Pepetela - der Nachname Pestana (=Wimper) auf Umbundu -, gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Angolas und nimmt innerhalb der lusophonen Literatur mittlerweile die herausragende Stellung eines populären, erfahrenen, preisgekrönten und in akademischen Kreisen sehr geschätzten und viel diskutierten Autors ein. Seine Biographie ist von der Geschichte seines Landes geprägt, das vom Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Portugal (1961-75) beinahe nahtlos in einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg schlitterte (1975-2002). Als Student in Lissabon schloss sich Pepetela in den 60er Jahren der angolanischen Befreiungsbewegung MPLA (Movimento Popular para a Libertação de Angola) an und musste daher Portugal verlassen. In seinem Exilland Algerien beendete er sein Soziologiestudium und kämpfte in den 70er Jahren als Guerrillero für die Befreiung Angolas. Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1975 wurde er Vize-Erziehungsminister und später Dozent für Soziologie an der Universität der Hauptstadt Luanda.

Sein Werk umfasst mittlerweile dreizehn Romane, zwei Theaterstücke und einen Erzählband. Mit seinen beiden letzten Romanen, Jaime Bunda, agente secreto (2001) und Jaime Bunda e a morte do americano (2003), hat Pepetela erstmals den Schritt ins Kriminalgenre gewagt und mit dem Anti-Helden Jaime Bunda (Parodie auf James Bond) zutiefst humorvolle Zeitdokumente geschaffen. Der erste Jaime-Bunda-Band erschien 2004 auf Deutsch beim Unionsverlag. Während Pepetelas Lesereise im April 2005 konnte ich in München mit ihm folgendes Interview führen.

 

Doris Wieser: Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Kriminalromane zu schreiben, nachdem Sie schon über ein Dutzend anderer Romane verfasst hatten, die meistens historische und politische Themen behandeln?

Pepetela: Aus verschiedenen Gründen. Ein Grund ist, dass das erste Buch, das ich schreiben wollte, ein Kriminalroman war. Damals war ich fünfzehn und ich habe es nie fertig geschrieben. Aber ich habe eben diesen Versuch gestartet. Ich hatte sehr viele Kriminalromane gelesen. In letzter Zeit lese ich nicht mehr so viele, aber das Genre gefällt mir immer noch. Nun, auf einmal hatte ich keine Idee mehr für einen weiteren Roman und das war dann der Moment dafür, das alte Projekt wieder aufzunehmen. Aber das Genre ist nur ein Vorwand. Ich weiß nichts über die wirkliche Polizeiarbeit, sondern habe mir alles ausgedacht. Das Interessante daran war mehr die Situation an sich und der Humor. Und da das erste Buch so erfolgreich war, haben mich viele Leute gefragt, ob ich noch ein weiteres hätte, und so habe ich das zweite Buch geschrieben. Jetzt mache ich eine Pause, aber später schreibe ich vielleicht noch ein drittes. Aber momentan bin ich zu den anderen Romanen zurückgekehrt.

Doris Wieser: Und was schreiben Sie jetzt gerade?

Pepetela: Soeben habe ich ein Buch abgeschlossen. Es ist ein Roman auf der klassischen Linie. Auf Portugiesisch kommt er wohl im Oktober heraus. Er heißt »Verlierer« (»Perdedores«) und handelt von der neuen Bourgeoisie, die in Angola im Aufstieg begriffen ist.

Doris Wieser: Was sind Ihrer Ansicht nach die Vorteile oder Tugenden des Genres Kriminalroman?

Pepetela: Ich halte es für eine weniger ernste, leichtere Form, die neue Leser anlocken kann. Die jungen Leute sind das Lesen nicht besonders gewohnt. Sie sind sehr vom Kino und vom Film im Allgemeinen beeinflusst und daher glaube ich, dass man mit einem Kriminalroman solche Leute anlocken kann. Und in der Tat hat das auch funktioniert. Im Prinzip beschreibe ich trotzdem die Gesellschaft auf die gleiche Weise wie immer, nur vielleicht mit etwas mehr Leichtigkeit. Das ist bei diesem Genre einfacher, weil der Polizist überall eindringt, in alle gesellschaftlichen Klassen und Milieus.

Doris Wieser: Sie haben schon öfters gesagt, dass ihre Jaime-Bunda-Romane "falsche Kriminalromane" sind. Was verstehen Sie genau unter diesem Begriff? Und was sind die Merkmale dieser neuen Form des Kriminalromans?

Jaime Bunda, Geheimagent Pepetela: Nun, das Genre ist wie gesagt ein Vorwand dafür, die Gesellschaft zu analysieren. Das sind aber Kriminalromane im Prinzip immer. Die Werke der amerikanischen Schule der 30er und 40er Jahre haben das auch schon gemacht. Der Unterschied zu meinen Büchern besteht aber wohl darin, dass der Autor eines Kriminalromans das Ende von Anfang an kennt und das Buch auf das Ende hin schreibt. Ich kenne das Ende aber nicht. Daher sind meine Bücher etwas wie Anti-Kriminalromane. Außerdem ist der Held, der Detektiv, mehr ein Anti-Held als ein Held.

Doris Wieser: Und da Sie selbst das Ende am Anfang noch nicht kennen, findet auch Jaime Bunda Dinge heraus, die er eigentlich gar nicht gesucht hat?

Pepetela: Genau. Er findet sie zufällig heraus.

Doris Wieser: Trotz dieser Unterschiede sind Ihre Bücher Kriminalromane. Wo befinden sich Ihrer Meinung nach aber die Grenzen der Gattung? Oder anders gefragt, was wäre Ihre Minimaldefinition für das Genre?

Pepetela: Es muss ein Verbrechen oder einen Verdacht geben und eine Ermittlung. Aber ich weiß es nicht genau. Ich bin kein Literaturwissenschaftler.

Doris Wieser: Was sind Ihre Lieblingsautoren aus dem Bereich der Kriminalliteratur - klassische und zeitgenössische?

Pepetela: Von den zeitgenössischen habe ich vor allem solche Werke gelesen, die gleichzeitig historische Romane sind. Aber meine Lieblingsautoren sind tatsächlich die alten Amerikaner und auch Conan Doyle, Simenon aus Frankreich - den Jaime Bunda nicht mag, weil er kein Amerikaner ist - Agatha Christie, die Klassiker eben. Sie sind ganz unglaublich. So etwas kann ich selbst nicht schreiben, so etwas kann ich nicht nachmachen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Ich verehre diese Meister sehr.

Doris Wieser: Wie kamen Sie auf die Idee, eine Parodie auf James Bond zu machen?

Pepetela: Die Idee für die Figur hatte ich schon vor langer Zeit. Ich kam kurz nach der Unabhängigkeit Angolas darauf. Komischerweise hatte ich die Idee während eines Basketballspiels - literarische Ideen entstehen ja immer auf merkwürdige Art und Weise. 1975 war die politische und militärische Situation ziemlich schwierig und es gab sehr wenig kulturelle Ereignisse im Land und sportliche gab es gar keine, das heißt es gab keine Spiele. Aber es gab eine Gruppe ehemaliger Basketballspieler, die die alten Gewohnheiten wieder aufnehmen wollten und daher einen Basketballverein gründeten. Aber da die Spieler seit zwei oder drei Jahren nicht trainiert hatten und dauernd Funje (angolanische Spezialität - Anm. DW) gegessen hatten, waren sie dick geworden. Der Verein hat als erstes Spiel gleich eine internationale Begegnung angesetzt, ein Spiel auf nationaler Ebene war ihnen nicht genug. So wurde die Mannschaft unseres Nachbarlands Kongo eingeladen. Und als sie kam und zu spielen anfing, begann Angola zu verlieren. Nun waren am Rande des Spielfelds die Leute des angolanischen Vereins, und unter ihnen war ein sehr verärgerter Herr, der mit dem Trainer sprach und sagte: "Warum lassen Sie meinen Sohn nicht endlich aufs Spielfeld? Wir verlieren und mein Sohn darf nicht mitspielen! Wenn Sie ihn mitspielen lassen, dann werden wir gewinnen!" Nach einigem Hin und Her hat der Trainer den Sohn dieses Mannes aufs Spielfeld gelassen. Und als er an der Spielfeldlinie ankam, dachte ich, oh nein, dass darf doch nicht wahr sein! Denn er war total rund, ein größerer Ball als der Basketball. Er kam rein und hat keinen einzigen Ball erwischt, er konnte auch nicht zum Korb hoch springen; und Angola hat verloren.
      Dann habe ich mir immer wieder gedacht, schau dir diesen Hintern an, diesen "Bunda", das ist nur ein Arsch und sonst nichts! So bin ich auf die Idee gekommen, daraus eine Romanfigur mit einem ausladenden Hinterteil zu machen. Viele Jahre später, als ich versuchte, einen Kriminalroman zu schreiben, wollte ich diese zwei Dinge verbinden, das Genre und die Figur. Und so kam ich auf diese Anspielung, denn die Person musste einen "Bunda" haben und Polizist sein. Von Bunda kam ich auf Bond. Dann habe ich Jaime parallel zu James gewählt. Aber das ist die einzige Ähnlichkeit zwischen den beiden. Jaime Bunda ist ein James Bond ohne technische Mittel, ein unterentwickelter James Bond eben. Schade ist nur, dass das Wortspiel bei den Übersetzungen verloren geht.

Doris Wieser: Wie ist das Verhältnis Angolas zum Kriminalroman? Welche anderen Werke gibt es neben Ihren?

Jaime Bunda - Agente Secreto Pepetela: Jaime Bunda war der erste angolanische Kriminalroman. Zumindest ist mir nichts anderes bekannt, denn er wurde überall als solcher präsentiert. Es gab nur einen Autor, der vorher kleine Kriminalgeschichten geschrieben hat, aber die waren ziemlich didaktisch. Er heißt Overido de Melo. Es waren nur vier Geschichten mit einer Erklärung danach, aber kein Roman.

Doris Wieser: Das grundlegende Merkmal des Kriminalromans ist, dass es darin in irgendeiner Weise um Verbrechen geht. Welcher Aspekt des Verbrechens interessiert Sie besonders und welche Art von Verbrechen?

Pepetela: Bei mir ist ja die Kriminalhandlung nur ein Vorwand. Das Buch, das ich gerade beendet habe, beginnt auch mit einem Verbrechen, aber es ist kein Kriminalroman, denn das Verbrechen hat keine Folgen, niemand ermittelt, niemand entdeckt etwas. In diesem Buch gibt es also ein Verbrechen und der Autor weist gleich danach darauf hin, dass es sich nicht um einen Kriminalroman handelt. Auf den ersten zwei Seiten könnte man das nämlich denken und dies zumal ich ja zuvor zwei Kriminalromane geschrieben habe. Diesmal habe ich mehr wirtschaftliche Aspekte angesprochen. Es gibt dort viele Leute, die stehlen, aber es ist kein Kriminalroman.

Doris Wieser: Existiert das Polizeiorgan SIG (Serviço de Investigação Geral) aus den Jaime-Bunda-Büchern mit diesem Namen in der Wirklichkeit? Und wenn nein, inwieweit verarbeiten die Romane trotzdem real existierende Begebenheiten?

Pepetela: Nein, das ist fiktiv. Ich habe einen Namen erfunden, der möglichst keinem real existierenden Geheimdienst ähneln sollte, damit es keine Verwechslungen gibt. Aber ich glaube, dass jede Fiktion auf Realität basiert. Diese Geschichten sind nicht wirklich passiert, aber hätten passieren können. Man könnte sagen, dass in meinen Romanen ein allgemeines Klima vorherrscht, das mehr oder weniger repräsentativ für all das gelten kann, was unsere Wirklichkeit ist. Alles andere ist die Vorstellungskraft des Autors. Die Kriminalhandlung ist nicht so wichtig in diesen Büchern. Wichtiger ist, dass der Leser durch die Gesellschaft von Luanda geführt wird, oder zumindest durch einige Schichten.

Doris Wieser: Wie würden Sie das Verhältnis der angolanischen Bevölkerung zur Polizei charakterisieren?

Pepetela: Der Polizei wird nicht viel Vertrauen geschenkt. Ich würde sogar sagen, dass die Polizisten, die sich auf der Straße bewegen auch kein Vertrauen verdienen. Immer wenn es geht, versuchen sie auf irgendeine Weise, Geld von den Leuten zu erpressen, ohne die Gesetze richtig zu kennen. Sie nehmen auch die Produkte der Straßenverkäufer weg, ihr Geld, eine schmutzige Sache eben. Das Volk hat eine schlechte Beziehung zur Polizei; es ist ein psychologisch unruhiger Zustand in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen. In Angola gehört die Polizei zu den vertrauensunwürdigsten Institutionen. Auch die Regierung, das Parlament und die Gerichte sind nicht glaubwürdig.

Doris Wieser: Welche Art von Kontakt hatten Sie zur Polizei, als Sie für ihre Kriminalromane recherchieren? Haben Sie schon mal einen Polizisten bei der Arbeit begleitet?

Pepetela: Nein, alles entstammt meiner Fantasie. Ich habe nie mit Polizisten geredet, aber mit ein paar Anwälten, die ja auch solche Geschichten erzählen können. Aber das hat mir nicht sehr weiter geholfen. Ich war auf der Suche nach der Haupthandlung, ein Verbrechen, das entdeckt werden konnte. Damals wusste ich noch nicht, was das Thema des Buches sein würde. Der Tod von Catarina, dem Mädchen aus dem Roman, ist ja nur der Anfang, denn das eigentliche Verbrechen ist ein anderes. Es musste schon ein gutes Verbrechen sein. Damals geschah in Angola das sogenannte Verbrechen der Trillionen - nicht Billionen, sondern Trillionen! Es ging dabei um die Veruntreuung von Wertpapieren bei einer Aktienbank oder einen Kredit, der nie bezahlt wurde. Aber ich hielt das alles für zu kompliziert für einen Roman und konnte es nicht einbauen. Daher habe ich für den Anfang das banalste Verbrechen der Welt gewählt, einen Mord. Ich glaube, dass ich für den dritten Roman ausführlicher recherchieren und ausgefeiltere Techniken verwenden werde.

Doris Wieser: Ich nehme an, dass der Humor der Jaime-Bunda-Romane zum großen Teil für deren Erfolg verantwortlich ist. Ist Ihr Humor eher ein optimistischer bezüglich der Entwicklung Ihres Landes oder eher ein postmoderner, der unbeteiligt beobachtet und über nichtveränderliche Zustände lacht?

Jaime Bunda e a morte do americano Pepetela: Der Humor gehört zur Wesensart der Angolaner. Die Angolaner haben die Fähigkeit, über ihr eigenes Unglück zu lachen. Wenn sie anderen von ihren Missgeschicken erzählen, lachen sie dabei. Besonders ausgeprägt ist dieser Charakterzug an der Küste, in Luanda. In den Jaime-Bunda-Büchern kommt der Humor ganz klar durch den Protagonisten zustande. Diesen Humor habe ich natürlich speziell für diesen Roman kreiert. Und das habe ich getan, weil die Angolaner sich für so etwas begeistern. Dafür haben sie sogar mehr Interesse als für die Gattung Kriminalroman, denn sie sind es ja nicht gewöhnt, Kriminalromane zu lesen, aber sie lachen gern.

Doris Wieser: Dann ist Jaime Bunda also ganz realistisch in dieser Hinsicht.

Pepetela: Genau. Ich erzähle immer gern eine Geschichte über den angolanischen Humor. Als wir mit den Portugiesen im Krieg waren, bekamen sie uns nie zu fassen. Sie wollten uns aus dem Hinterhalt überfallen, aber wir kamen immer verspätet oder gar nicht an nach dem Motto: Zu spät zu kommen ist eine schlechte Eigenschaft, aber unter diesen Umständen ist es eine gute. So ist der Charakter der Angolaner.

Doris Wieser: Jaime Bunda ist ja eigentlich ein Anti-Held. Aber im zweiten Band verändert er sich gegen Ende in Richtung positiver Held. Ich glaube jedoch, dass seine Motivation nicht die Sorge um die Gefangenen ist, sondern eher seine Arroganz und der Wunsch, besser als die Amerikaner zu sein. Wollten Sie ihn tatsächlich zum Helden werden lassen, oder bleibt er auch am Ende nur ein Pseudo-Held?

Pepetela: Ich glaube er bleibt ein Pseudo-Held. In der Tat musste er ein bisschen besser sein, als die Amerikaner und hat sich daher verändert. Er zeigt ein bisschen angolanischen Stolz. Einige Leute haben gesagt, dass das erste Buch besser und angolanischer war und das zweite ein bisschen zu ernst. Deswegen finde ich, dass ich noch ein drittes schreiben muss.

Doris Wieser: Und im dritten wird Jaime Bunda wieder Anti-Held sein?

Pepetela: Ja, er wird wieder zum Anti-Held. Im zweiten Buch ging es ja außerdem um eine wahre Begebenheit, von der ich als Kind gehört hatte. Ein portugiesischer Ingenieur war in der Stadt Benguela ermordet worden und ein Unschuldiger musste dafür im Gefängnis sterben. Ich bin nach Benguela gefahren, um Zeitungen aus den 50er Jahren zu suchen, in denen etwas über diese Sache stand. Aber ich konnte leider keine Zeitungen mehr ausfindig machen. Also habe ich für den Roman diese Figur erfunden, den Dichter und Dorfältesten Raúl, der im Roman die wahre Geschichte erzählt, die zutiefst tragisch ist. Vor diesem Hintergrund habe ich einfach nicht geschafft einen so negativen Jaime Bunda zu entwerfen, wie im ersten Buch. Der hatte ja verrückte oder vielleicht auch geniale Eigenschaften.

Doris Wieser: Also war das Thema einfach ein anderes....

Pepetela: Ja, das Thema des zweiten Buches ist ernster. Obwohl ich vom ersten Buch her schon ein Modell hatte und damit spielen konnte. Weil das Thema ernster ist, ist Jaime ein bisschen positiver, aber das ist nur zeitweilig so.

Doris Wieser: Im zweiten Roman parallelisieren Sie die Situation Angolas unter der portugiesischen Kolonialmacht sehr stark mit dem jetzigen Abhängigkeitsverhältnis vom "Imperium" USA, da sich ja das Verbrechen aus den 50er Jahren fast gleich wiederholt. Inwieweit würden Sie diesen Parallelismus auch außerhalb der Literatur zulassen?

Pepetela: Im Grunde ist die Situation dieselbe. Viele Länder, die früher von den Kolonialmächten abhängig waren, sind heute von den USA abhängig. Und die USA behandeln sie mit derselben Arroganz wie früher die Kolonialmächte. Sie fragen vielleicht, gibt es das wirklich noch? Natürlich, aber es geschieht im Namen der Prinzipien der Demokratie, gut, sehr gut... Aber immer wenn amerikanische Interessen im Spiel sind, vergessen sie Demokratie und Menschenrechte... siehe Guantánamo. Ich wollte genau das in dem Buch zeigen. Die Amerikaner foltern nicht selbst, aber sie lassen foltern, nach dem Motto "Ah, das darf ich nicht wissen, das darf ich nicht sehen."

Doris Wieser: Können Sie die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Angola und den USA näher beschreiben?

Pepetela: Die USA sind sehr wichtig für Angola. Das angolanische Erdöl macht schon acht oder neun Prozent des amerikanischen Marktes aus und wird wohl noch auf fünfzehn Prozent ansteigen. Die USA sind ein strategischer Partner für das Land. Das heißt, dass sie die siebte Flotte schicken und intervenieren würden, wenn wir eine Revolution machen wollten. Genau das bedeutet es! Die jungen Angolaner bewundern die USA heute sehr. Sie mögen alles, was aus den USA kommt, und halten sie für den besten Freund. Und die neue Elite Angolas hat größtenteils in den USA studiert, manche auch in London.

Doris Wieser: Und wie sehen die Beziehungen zu Portugal heute aus? Gibt es noch viele Ressentiments in der Bevölkerung?

Pepetela: Das ist schwer zu verallgemeinern. Mir scheint, dass die Ressentiments, die aus der Geschichte entstanden sind, vollkommen verständlich sind. Aber trotzdem glaube ich, dass der Verständigungsprozess zwischen Angolanern und Portugiesen ziemlich gut verlaufen ist. Die Erlangung der Unabhängigkeit war ein riesiges Durcheinander. Die portugiesische Flagge wurde in Angola sozusagen vom Mast gerissen und ins Meer geworfen. Die eine Flagge wurde heruntergelassen und die neue gehisst. Dennoch glaube ich, dass es heute keine großen Ressentiments gibt. Manchmal gibt es Probleme mit Angolanern, die Verwandte in Portugal haben. Dort wurde mal einer in einer Disco ermordet und das provoziert natürlich ein gewisses Klima in Angola.
      Ich selbst konnte ja vor Ort miterleben, wie sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien nach seiner Unabhängigkeit gestaltet haben. Dieses Verhältnis ist bis heute wesentlich komplizierter als das zwischen Angola und Portugal. Wir haben die Geschichte offenbar leichter bewältigt.

Doris Wieser: Sie haben schon öfters Ihre Sorge darüber ausgedrückt, dass Angola so viele Gesellschaftsmodelle aus Europa übernommen hat, also von den alten Kolonialmächten, und noch kein eigenständiges Projekt hervorgebracht hat. Ist für Sie die Ironisierung des europäisch-amerikanischen Genres Kriminalroman eine Methode, sich dem kolonialen Diskurs zu widersetzen und etwas Neues zu produzieren?

Pepetela: Im Prinzip ist das so. Natürlich ist die angolanische Literatur sehr beeinflusst von der europäischen und der amerikanischen. Aber wir können diesen Einfluss subvertieren, einen Kriminalroman schreiben, der subversiv ist, weil er kein richtiger Kriminalroman ist. Das wichtige dabei ist der Humor, der alles umdreht, der die ganze Gattung umdreht. Das ist wohl ein bisschen anti-kolonial oder anti-imperialistisch gedacht.
      Aber auch außerhalb der Literatur ist es an der Zeit, dass wir versuchen unsere Probleme selbst zu lösen, mit unseren eigenen Köpfen. Wir haben schon viele Dinge kopiert, aber die Kopien sind nie so gut wie die Originale. Vor allem wenn das Original schon schlecht ist, dann ist die Kopie noch schlechter. Jetzt sollten wir endlich anfangen unsere Probleme auf unsere eigene Art zu lösen, mit Ruhe und unseren eigenen Vorstellungen, das heißt in Einklang mit der angolanischen Kultur und der Wesensart der Angolaner. Welche Art von Gesellschaft wollen wir zum Beispiel? Das müssen wir uns fragen genauso wie man sich fragt, in welchem Haus man wohnen möchte. Soll es einen Hinterhof mit einen schattigen Baum haben oder eine Wohnung im achten Stock sein? Solche Dinge haben etwas mit der Kultur zu tun, genauso wie die Art und Weise, wie die Gesellschaft organisiert wird. Es wird nicht einfach sein und wir werden dabei viele Fehler machen. Aber es ist immer noch besser, wenn wir unsere eigenen Fehler machen, als die der anderen zu wiederholen.

Doris Wieser: In den Jaime-Bunda-Büchern beschreiben Sie, wie die unabhängigen Zeitungen von der Polizei kontrolliert und überwacht werden. Wenn es im Journalismus diese Art der Kontrolle gibt, kann sie dann auch die Literatur betreffen? Ist Zensur ein Problem in Angola?

Pepetela: Nein, zur Zeit nicht. Ich habe einmal darauf aufmerksam gemacht: Es gab eine Reihe von Prozessen gegen Journalisten. Aber wir, die Schriftsteller, stehen nicht auf einer höheren Ebene, auf der uns nichts passieren kann. Vorsicht! Was den Journalisten passiert, könnte auch uns einmal passieren. Darauf wollte ich aufmerksam machen. Aber tatsächlich mussten die angolanischen Schriftsteller nie unter einer Zensur leiden. Seit der Unabhängigkeit gibt es in Angola keine Zensur für Literatur. Noch nie wurde ein Schriftsteller wegen eines Buches verfolgt. Es gab verfolgte Schriftsteller, aber sie hatten Probleme wegen anderer Dinge, nicht wegen eines Buches. Der Schriftsteller, der am meisten von der Zensur betroffen war, war ich selbst, und es war wirklich nur eine Lappalie.
      Mittlerweile ist auch die Situation für die Journalisten besser geworden. Es gibt keine Zensur für Literatur, Zeitung oder Radio. Aber es gibt die staatlichen Fernseh- und Radioanstalten und die größte Zeitung des Landes ist auch staatlich und hat eine eigene ideologische Ausrichtung. Da kann es wohl Zensur geben. Aber es gibt auch andere Radiosender, die ganz klar der Opposition angehören, und viele private Zeitungen, die schreiben, was sie wollen. Seit zwei oder drei Jahren gab es jetzt keinen Prozess mehr gegen Journalisten; es ist also besser geworden.

Doris Wieser: Wie charakterisieren Sie die politische Vision der "Generation der Utopie" - wie ja auch einer Ihrer Romantitel lautet - im Gegensatz zur nachrückenden neuen Generation?

Pepetela: Ein Freund von mir hat gesagt, dass diese Generation in Angola jetzt so genannt wird aufgrund meines Buches. In den Zeitungen wird von der "Generation der Utopie" gesprochen und gar nicht mehr erwähnt, woher der Begriff stammt. Das ist die Generation die sehr unter dem Krieg gelitten hat, die Generation des Holocausts, was natürlich eine Übertreibung ist. Das Wort Holocaust hat hier nichts mit dem deutschen Holocaust zu tun. Aber viele Menschen sind gestorben und diese Generation wurde geopfert. Die heutige Jugend aus der Stadt ist dem Konsumismus verfallen und die Jugend aus den ländlichen Gegenden haben leider überhaupt keine Perspektive.

Doris Wieser: Wie gut lassen sich Ihre Bücher in Angola verkaufen im Gegensatz zu Portugal? Und wie geht es dem Buchmarkt in Ihrem Land insgesamt?

Pepetela: In Angola ist der Buchmarkt problematisch. Die Leute, die lesen wollen, haben kein Geld für Bücher, weil sie sehr teuer sind oder vielmehr die Gehälter sehr niedrig. Und die, die Geld haben, lesen nicht, weil sie ja Geld verdienen müssen und keine Zeit zum Lesen haben. Daher gibt es in Angola sehr wenig Leser und der Buchmarkt läuft sehr schlecht. In den 80er Jahren war das anders.
      Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit, als die Vereinigung der Angolanischen Schriftsteller gegründet wurde, entstand auch der wichtigste angolanische Verlag. Die Bücher wurden damals extrem billig verkauft. Ein Buch kostete soviel wie eine Banane. Das heißt, dass es sehr leicht war, Bücher zu kaufen und die Leute kauften sie auch. Die Auflagen waren auch sehr hoch. Damals habe ich zwei, drei Romane veröffentlicht, die meine bekanntesten sind, As aventuras de Ngunga und Mayombe. Die Auflagen betrugen viele tausend Exemplare. Danach hat sich die Situation geändert und der Staat hat die Bücher nicht mehr subventioniert. Heute sind Bücher also sehr teuer.
      Heutzutage gibt es zwei Arten von angolanischen Schriftstellern: Erstens die wenigen Autoren, die im Ausland publiziert werden und zweitens die große Mehrheit der Schriftsteller, die nur in Angola veröffentlicht. Die, die in Angola publiziert werden, verkaufen tausend oder maximal zweitausend Bücher. Dagegen verkauften, die, die im Ausland publizieren, wesentlich mehr. Ich verkaufe gut zwanzig- oder dreißigtausend in Portugal, also zehnmal mehr als in Angola. Aber in Portugal werden die Bücher ja auch zum Teil von Angolanern gekauft, die dort leben und einen höheren Lebensstandard haben. Die Bücher verbinden sie gefühlsmäßig mit Angola. Jaime Bunda hat in Portugal schon die siebte Auflage erreicht.

Doris Wieser: Sie sieht es mit dem brasilianischen Buchmarkt aus? Haben da afrikanische Autoren eine Chance?

Pepetela: In Brasilien verkauft sich das Buch wesentlich schlechter. Brasilien mag ich sehr gerne und habe viele persönliche Kontakte dort. Aber leider publizieren und lesen die Brasilianer fast nur brasilianische und nordamerikanische Bücher, vielleicht auch mal ein argentinisches. Aber angolanische oder mosambikanische Bücher haben es in Brasilien schwer.
      In den anderen afrikanischen Ländern ist es noch schwerer. Die Bücher zirkulieren praktisch nicht zwischen den Ländern. In Mosambique kann man mittlerweile ein paar angolanische Bücher kaufen, aber noch keine mosambikanischen in Angola und auch keine von den Kapverdischen Inseln. Was so natürlich erscheint, geschieht in der Realität nicht, obwohl es die Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder gibt. Da sollte es eigentlich eine Priorität sein, dass man die Bücher zwischen den Ländern in Umlauf bringt.

Doris Wieser: Wenn Sie von der Literatur leben könnten, würden Sie es dann tun und aufhören, an der Universität von Luanda Soziologie zu unterrichten?

Pepetela: Nein. Ich habe schon mal ein Jahr lang nur von der Literatur gelebt. Damals wurden mir Autoren- und Filmrechte gezahlt. Danach haben sie den Film allerdings nicht gemacht. Aber der Unterricht ist mir sehr wichtig, weil er mich in enge Verbindung mit den Studenten bringt und ich so immer in Kontakt mit den jungen Leuten bin und sie verstehen lerne. Das ist ja auch wichtig für die Schriftstellerei.

Doris Wieser: Eine letzte Frage. Sie hatten ja 1993 ein DAAD-Stipendium für Künstler und waren ein Jahr in Berlin, wo Sie den Roman A geração da utopia geschrieben haben. Können Sie Ihren Eindruck von Deutschland und den Deutschen schildern? Was sind Ihrer Meinung nach unsere guten und was unsere schlechten Eigenschaften?

Pepetela: Ich hatte schon vorher Kontakt mit Deutschen, die mit mir gearbeitet haben, aber immer nur für kurze Zeit. Als ich dann in Berlin gelebt habe, kam ich wegen der Lesungen ziemlich viel herum und habe mir eine genauere Vorstellung von Deutschland gemacht. Ich war sehr gerne dort und auch meiner ganzen Familie hat es gefallen. Wir waren es nicht mehr gewohnt, in einem geordneten Land zu leben. Gerade in diesem Jahr gab es auch in Angola keinen Krieg, aber das war nur eine relativ kurze Pause vor den Wahlen. Aber im Prinzip kamen wir aus einem Land, das sich ständig im Kriegszustand befand. Hierzulande jedoch herrscht Frieden und das war sehr wichtig für uns. Ein gut organisiertes und friedliches Land. Daher haben wir uns sehr wohl gefühlt.
      Die Deutschen kamen uns sehr ernst vor im positiven Sinne. Sie halten, was sie versprechen. Zumindest auf dieser kleinen Skala des täglichen Lebens. Wo große Interessen im Spiel sind, trifft diese Regel womöglich auch in Deutschland nicht zu. Aber von Mensch zu Mensch werden die Regeln eingehalten und so gibt es keine Probleme. Wir hatten nie Schwierigkeiten und die Deutschen haben immer ihr Wort uns gegenüber gehalten. Das meine ich, wenn ich sage, dass sie ernst sind. Alles funktioniert sehr gut. Allerdings waren die Deutschen auch sehr distanziert und kalt. Wenn ich sie auf der Straße auf Englisch angesprochen habe, haben viele nicht richtig geantwortet. Heutzutage gehe ich aber in irgendeinen Laden und schon reden sie Englisch, ohne Probleme. Mir scheint, dass sie jetzt netter und offener geworden sind. Vielleicht liegt das an der EU, die die Leute mehr in Kontakt miteinander bringt. Jedenfalls hat sich das in den letzten zwölf Jahren verändert.
      Früher gab es einen Unterschied zwischen den Westdeutschen und den Ostdeutschen. Die Westdeutschen in Berlin hatten keine Zeit, um auf der Straße Fragen zu beantworten. Aber in Ostberlin waren die Leute hilfsbereit und haben mich manchmal sogar ein Stück begleitet, damit ich mich orientieren konnte. Vielleicht haben die Westdeutschen durch die Wiedervereinigung von den Ostdeutschen gelernt und sind heute viel zugänglicher. Zumindest war das mein Eindruck. Aber Berlin ist immer noch in gewisser Weise ein Ber-lin, das in der Mitte durchgeschnitten ist. Ich glaube, dass es immer noch Unterschiede in den Vorurteilen gibt. Allerdings ist das subjektiv, denn dieses Mal war ich nicht lange genug hier, um das zu beurteilen.
      Aber diese Vorstellung von den Deutschen, die durch die amerikanischen Filme über den Krieg etc. verbreitet wird, diese Vorstellung von den rigiden Deutschen, die die Leute anschreien, hatten wir vorher auch. Als wir dann in Berlin lebten, habe ich schnell bemerkt, dass sie absolut falsch war. Dieses Vorurteil wurde durch die Kinos verbreitet und hat sich in der ganzen Welt festgesetzt. Wenn meine Frau, meine Tochter oder ich erzählen, dass uns Berlin gefallen hat, dann können es die Leute oft erst nicht glauben. Ich denke, dass dieses Vorurteil nicht gerecht ist. Vielleicht war es mal so, vielleicht in den 30er oder 40er Jahren, aber das gehört jetzt der Vergangenheit an.
      Wir haben Freundschaften in Berlin geschlossen und als wir zurück in Angola waren, wurde ich Versitzender der "Vereinigung der Freunde der deutschen Kultur in Angola". Die gibt es heute noch, aber sie ist nicht mehr sehr aktiv. Ich spreche zwar nicht Deutsch, aber ich bin ein Freund der deutschen Kultur.

 

© Doris Wieser, 2005

 

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