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Gottes Gehirn - ein Interview mit dem Autor Jens Johler

 

Der Science-Thriller ist in der deutschen Kriminalliteratur ein weitgehend unbearbeitetes Genre. Im Vergleich zu ihren angloamerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben sich nur wenige deutsche Autoren aufs Parkett getraut. Die meisten dieser Versuche waren recht jämmerlich, und erhoben sich weder inhaltlich noch stilistisch über das Niveau vorabendliche Krankenhausserien im Fernsehen.
Jens Johler und Olaf-Axel Burow haben vor kurzem einen neuen Versuch gestartet, den Science-Thriller in Deutschland zu beleben. Gottes Gehirn heißt ihr Roman - und der hat's in sich. Johler & Burow entführen ihre Leser in das Gruselkabinett moderner Möglichkeiten und wagen einen Ausblick auf das, was uns im 21. Jahrhundert erwarten wird.
kaliber .38 hat nachgefragt: In einem Interview berichtet Jens Johler, wie »Gottes Gehirn« in Zusammenarbeit mit Olaf-Axel Burow entstand, wie sie die Fülle des Materials recherchiert haben und wie wir den im Roman dargestellten Herausforderungen der Wissenschaften, die sich rasant entwickeln, begegnen können - indem man sich "rechtzeitig um das kümmert, was in den Laboren gedacht, geplant, gemacht wird."

 

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Jens Johler kaliber .38: Herr Johler, Sie haben eine Schauspielschule absolviert und ein paar Jahre am Theater gearbeitet. Danach haben Sie Volkswirtschaft studiert. Seit 1982 sind Sie freier Autor und haben mehrere Essays, Romane und Theaterstücke verfasst. Herr Burow war zunächst Lehrer, ist jetzt Professor für Pädagogik in Kassel und hat vor allem Fachbücher publiziert. Was hat sie dazu bewogen, einen Roman zu schreiben, der den Stand der Naturwissenschaften reflektiert bzw. einen Ausblick auf kommende naturwissenschaftliche und technische Entwicklungen gibt? Gab es einen konkreten Anlass?

Jens Johler: Wir waren, nachdem wir 1995 unseren ersten gemeinsamen Roman, "Bye bye Ronstein", geschrieben hatten, auf der Suche nach einem neuen Plot. Wir haben verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, und dabei war die Grundbedingung: Der Stoff muß uns beide interessieren und zugleich einem größeren Publikum erzählbar sein. Burow ist Professor, ich war mal Wissenschaftlicher Assistent an der FU ­ die Sitten und Gebräuche an den Universitäten waren immer Gesprächsthema zwischen uns. Hinzu kam dass Mitte der 90er Wissenschaften wie Genetik, Künstliche Intelligenz-Forschung oder Neurophysiologie einen enormen Aufschwung nahmen. Das hatte sicherlich damit zu tun, dass Präsident Bush (der ältere) 1989 das letzte Jahrzehnt des Jahrtausends zum "Jahrzehnt des Gehirns" ausgerufen hatte. Burow und ich wollten genauer wissen, was in diesen Wissenschaften eigentlich getrieben wurde, was für Ziele die Wissenschaftler hatten und wie weit sie gekommen waren.

k.38: Warum haben Sie für Ihren Stoff die Form des Thrillers gewählt? Lesen Sie selbst gerne Science-Thriller?

J.J.: Ja, ich hatte schon immer ein Faible für Krimis und Thriller, die nicht bloß spannend, sondern auch intellektuell anregend sind. Manche Romane von Michael Crichton wie "Andromeda" und "Airframe" schätze ich sehr. Und durch Philipp Kerrs "Wittgensteinprogramm" kam auch Burow auf den Geschmack.

k.38: Ihr Thriller spielt weitenteils in den USA. Warum?

J.J.: Wir hatten ursprünglich vor, den Thriller in der ganzen Welt spielen zu lassen, aber es ergab sich dann, dass fast alle Wissenschaftler, deren Theorien wir benutzt haben, in den USA lebten. Außerdem wollten wir es den Gehirnräubern etwas leichter machen und sie nicht mit den noch lebenden Gehirnen über die Staatsgrenze schicken.

k.38: "Gottes Gehirn" ist nach "Bye, bye Ronstein" der zweite Roman, den Sie mit Herrn Burow geschrieben haben. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit praktisch aus? Wie schreibt man gemeinsam ein Buch?

J.J.: Das Wichtigste ist die Stoffentwicklung. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Autorenteams vor allem Krimis oder Thriller schreiben. Da muß der Plot genau durchgeplant sein. Also: Erstmal planen, dann Aufgaben verteilen, in unserem Falle natürlich auch Recherche-Aufgaben. Und dann wird alles noch einmal gründlich stilistisch bearbeitet. Das war dann mein Job.

k.38: Sie blicken in Ihrem Roman auf viele wissenschaftliche Disziplinen bzw. deren technische Umsetzung - Transplantationsmedizin, Gentechnologie, das Klonen, Künstliche Intelligenz usw. Wie haben Sie die Fülle des Materials recherchiert? War Ihnen das Internet bei der Recherche nützlich?

J.J.: Kaum. Wir haben vor allem Bücher, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und z.T. Fernsehberichte benutzt. Außerdem Mitschriften von Vorträgen, die wir besucht hatten, oder Notizen nach Gesprächen mit Wissenschaftlern. Auf einen Satz wie: "Was mich beunruhigt, ist die Sache mit dem Plattwurm" kommen Sie von alleine nicht so ohne Weiteres.

k.38: Gibt es eine Disziplin, deren Erkenntnisse oder auch Möglichkeiten Sie bei den Recherchen besonders erschreckten?

J.J.: Ja, natürlich: Die Genetik.

k.38: Ist der Mensch bloß ein "Upgrade des Schimpansen", wie eine Figur in Ihrem Roman behauptet?

Gottes Gehirn J.J.: Aus neurophysiologischer Sicht auf alle Fälle. Aus der Sicht der Genetiker auch. Deren Erkenntnisse sollten uns vielleicht von unserem "humanen" Hochmut herunter bringen. Es ist wirklich absurd, dass wir uns den Kopf über die "Würde" von Embryonen zerbrechen und zugleich Menschenaffen, die die Intelligenz von kleinen Kindern haben, ausrotten, fressen oder ihnen die Schädel aufsägen, um mal zu schauen, wie es darin aussieht.

k.38: In Ihrem Roman sprechen Sie vom Terror der Wissenschaft, der den Terror der Ökonomie als Kennzeichen zumindest der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ablösen könne. Seit dem 11. September assoziieren wir mit dem Begriff natürlich andere Bilder. Aber sehen Sie dennoch in der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung eine Herausforderung, vielleicht sogar eine Gefahr für die Gesellschaft und ihre demokratischen Prinzipien?

J.J.: Wir haben diesen Dreischritt gesehen: Primat der Politik (Hitler, Stalin) ­ Primat der Ökonomie (Globalisierung) ­ Primat der Wissenschaft (Genetik, Künstliche Intelligenz).
Das Wort "Terror" diente natürlich der Dramatisierung. Das Neue an unserer Situation in Bezug auf die Wissenschaften ist die Beschleunigung des Fortschritts und die spektakuläre Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft z.B. durch Craig Venter, die natürlich an sich nichts Neues ist. Bedrohlich scheint mir zu sein, dass die Wissenschaft in rasantem Tempo neue Fakten schafft, und Politik und Gesellschaft davon so in Atem gehalten werden, dass sie immer zu spät reagieren. Die Sozialwissenschaften, speziell die Philosophie, haben hier ohnehin versagt.

k.38: Wie kann die Gesellschaft der Herausforderung begegnen?

J.J.: Erstens, indem man sich rechtzeitig um das kümmert, was in den Laboren gedacht, geplant, gemacht wird. Zweitens, indem man sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, was "der Mensch" ist, dessen Würde unantastbar sein soll. (Was ist mit der Würde des Menschenaffen? Oder des künstlich-intelligenten Wesens? Über das letztere sollte man heute nachdenken und nicht erst in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren, wenn es dieses Wesen gibt). Man kann m.E. die Forschung nicht kontrollieren oder gar verbieten, aber man könnte eine Gesetzeslage schaffen, die bestimmte Forschungen sinnlos macht. Man könnte z.B. verhindern, dass Gene patentiert werden; oder ein Recht auf gen-informationelle Selbstbestimmung ins Grundgesetz aufnehmen. Normale Gesetzte nützen ja nicht viel, die werden sowieso wieder geändert.

k.38: In "Gottes Gehirn" arbeitet ein Wissenschaftler mit tatkräftiger Unterstützung eines Softwaremagnaten an der "Wiederauferstehung" längst verstorbener Genies - etwa Albert Einstein, Sigmund Freud oder auch Philosophen der Antike. In einer Computersimulation lässt er diese in einen Dialog treten, in dem Sie mit ihrer Fachkompetenz aus den unterschiedlichsten Disziplinen die drängenden Probleme der Menschheit diskutieren sollen. Den Ausgang des Disputs wollen wir hier natürlich nicht vorwegnehmen. Welche Rolle schreiben Sie den Wissenschaften bei der Lösung drängender Menschheitsprobleme zu? Brauchen wir eine Gelehrtenrepublik?

J.J.: Dieselbe Rolle, die Ingenieure bei der Frage haben, ob eine Brücke gebaut werden soll. Sie können sagen, wie man's macht ­ aber nicht entscheiden, ob man's machen soll. Ich halte nicht viel von der Gelehrtenrepublik und noch weniger vom Philosophenstaat.

k.38: Überraschend und besonders faszinierend in "Gottes Gehirn" fand ich den Exkurs zu Bach und dem wohltemperierten Klavier. Verkürzt gesagt, hat Bach die Tonleiter von natürlichen Dissonanzen bereinigt. Ist Bach für Sie exemplarisch etwa in dem Sinne, dass die Naturwissenschaften die Welt auch von "Dissonanzen" bereinigen?

J.J.: Michel Foucault hat in seinem Buch "Die Ordnung der Dinge" den episteme-Wechsel, also den geistigen Bruch von der Renaissance zur "Klassik" (1600-1800) so beschrieben, dass nach dem ausufernden Bilderreichtum in der Renaissance "Ordnung und Mass" in die Welt kommen. Descartes, Bacon, Newton, Leibniz, Poussin und eben auch Bach gehören zu den Geistern, die in dieser Zeit Ordnung und Mass begründet haben. Tatsächlich ist damals die Welt von Dissonanzen "gesäubert" worden, die Körper, die Straßen, die Städte, die Töne ­ alles wurde begradigt. Dass dieses Weltbild ganze Dimensionen des Daseins außer Acht ließ, zeigte sich im 19.Jahrhundert mit der "Entdeckung" des Unbewussten und noch mehr im 20.Jahrhundert z.B. durch die Quantenphysik oder die Chaostheorie.

k.38: Das zentrale Thema ihres Romans ist die Vereinheitlichung des in ungezählte Disziplinen zersplitterten Wissens. Wie ist das Projekt der Vereinheitlichung vorstellbar in einer Zeit, in der sich das Wissen der Welt in immer kürzeren Abständen verdoppelt? Ist die Welt enträtselt - um nicht zu sagen: entzaubert -, wenn es nur gelänge, die Erkenntnisse der einzelnen Disziplinen systematisch zusammenzufügen?

J.J.: Es gibt diese Idee von der "Einheit des Wissens" ­ der Ameisenforscher Edward Wilson hat ein Buch mit diesem Titel geschrieben und Ernst Pöppel hat mit dem Begriff der "Syntopie" etwas Ähnliches ins Auge gefaßt. Ich halte davon nicht allzu viel. Burow schon eher.

k.38: "Gottes Gehirn" hat viele positive Rezensionen bekommen. Gab es eine Reaktion, die Sie überrascht hat? Wie gehen Sie selbst mit Kritik um?

J.J.: Nein, überrascht hat uns bisher noch nichts. Und generell: Ich höre mir Kritik immer sehr aufmerksam an und denke genau darüber nach. Aber eigentlich mehr, solange der Roman noch in Arbeit ist. Danach lässt sich ja sowieso nichts mehr ändern.

k.38: Unter http://www.gottesgehirn.de konnte man sich den Roman kostenlos runterladen, doch die Anzahl der downloads war limitiert. Gibt's noch Gratis-Exemplare?

J.J.: Ja, aber die Aktion läuft demnächst aus.

k.38: Haben Sie schon ein neues gemeinsames Buch in Angriff genommen? Gibt es andere konkrete Projekte, an denen Sie und Herr Burow derzeit arbeiten?

J.J.: Noch nichts, worüber ich gern sprechen möchte.

k.38: Herr Johler, wir bedanken uns für das Interview und wünschen Ihnen und Ihrem Roman viel Erfolg.

 

Jens Johler und Olaf-Axel Burow: Gottes Gehirn. Roman. Hamburg: Europa Verlag, 2001, gebunden mit Schutzumschlag, 320 S., 38.50 DM, 19.90 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2001

 

Kurzbibliographie Jens Johler:

 

Weitere Informationen zu Jens Johler finden Sie auf seiner Homepage unter
http://www.jens-johler.de

und zu Olaf-Axel Burow auf der Internetseite der Uni Kassel unter
http://www.uni-kassel.de/fb1/burow/Startseite.html

 

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