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Kirche, Krimis und Kate Charles

Ein Interview mit der US-amerikanischen Autorin Kate Charles, die in bester, typisch britischer Tradition spannende und fein gezeichnete Kriminalromane schreibt

Von Bianca Reineke

 

A Drink of Deadly Wine

Bianca Reineke: Bitte beschreiben Sie doch einen ganz typischen "Kate-Charles-Arbeitstag"

Kate Charles: Ein ganz typischer Arbeitstag beginnt mit dem Klingeln des Weckers um 6.00 Uhr morgens. Ich finde, die beste Zeit um zu arbeiten, ist früh morgens; gleich mit dem Arbeiten zu beginnen, wenn die Kreativität noch ganz oben an der Oberfläche ist. Ich schreibe bis 8.00 Uhr und komme dann vielleicht, aber vielleicht auch nicht, im Laufe des Tages wieder zurück an den Schreibtisch. Oft verfeinere ich dann noch einzelne Sätze, nachdem ich sie in der Badewanne oder auf dem Hundespaziergang noch einmal ganz neu überdacht habe.
      In regelmäßigen Abständen muss ich dann auch mal wegfahren, um einige Tage ganz intensiv zu schreiben; und in dieser Zeit schreibe ich von Anbruch des Tages bis zum Einbruch der Nacht, mit kurzen Unterbrechungen, um etwas zu essen.

B.R.: Ich war überrascht, als ich bei meinen Interviews mit Anne Perry und Robert Goddard erfahren haben, dass beide ihre Romane per Hand schreiben. Wie schreiben Sie?

K.C.: Ich kann es mir gar nicht mehr vorstellen, Romane mit einem Stift zu schreiben. Ich habe das früher immer getan, schon als Teenager habe ich all meine Schulhefte mit Romanen gefüllt, die ich während der Schulstunden geschrieben habe. Jetzt aber benutze ich einen Computer. Einen iMac zuhause und ein MacBook Pro Laptop wenn ich unterwegs in. Ich bin schon ewig ein Apple Fan.
      Ich habe mal eine Ausbildung fürs Schreibmaschineschreiben gemacht, und darum finde ich den Prozess des Schreibens am Bildschirm einfach sehr gut, und man muss nicht groß nachdenken, nur tippen.

B.R.: Wie lange dauert es ungefähr, bis Sie einen kompletten Roman fertig geschrieben haben?

K.C.: Früher hat es in etwa ein Jahr gedauert; aber heute, von der ersten Idee hin zum fertigen Manuskript, können es bis zu 18 Monate sein.

The Snares of Death

B.R.: War es immer schon Ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden? Haben Sie andere Jobs gehabt, bevor Ihre Bücher veröffentlicht wurden?

K.C.: Immer, immer, immer. Aber ich war realistisch genug, mich für einen "normalen" Beruf ausbilden zu lassen. Ich habe zwei Abschlüsse in Bibliothekswissenschaften und habe in Büchereien gearbeitet; aber auch in einer Radiostation in den USA, und als ich dann nach England kam in der Kirchenverwaltung meiner Gemeinde.

B.R.: Hat der Ruhm als Autorin Ihr Leben verändert?

K.C.: Ruhm? Ach, ich sehe mich gar nicht als "Promi". Jedenfalls hat mich noch nie jemand mit einer Kamera die Straße entlang gejagt.

B.R.: Wie kommt es, dass Sie als Amerikanerin so typisch britische "Whodunit-Krimis" schreiben?

K.C.: Ich bin mit diesen Büchern groß geworden - mit Dorothy L. Sayers, Agatha Christi, Josephine Tey, P.D. James. Sie haben mich inspiriert, und ich wollte in ihre Fußstapfen treten.

B.R.: Warum haben Sie sich die komplexe Welt der Anglikanischen Kirche und des christlichen Glaubens als Hintergrund für alle Ihre Romane ausgewählt?

K.C.: Mich fasziniert der Kontrast zwischen dem, was die Institution Kirche repräsentiert, und der Realität auf der anderen Seite, die nicht perfekten Menschen inmitten dieses Geschehens. Dieser dichte Hintergrund bietet soviel reichen Nährboden an Geheimnissen und verborgenen Makeln. Und außerdem sagt man ja immer: Schreib über das, was du kennst. Und ich weiß einfach viel über die Anglikanische Kirche durch meine Jahre als Gemeindeverwalterin.

B.R.: Sind Sie ein aktives Gemeindemitglied? Glauben Sie an Gott?

K.C.: Oh ja, ich glaube ganz sicher an Gott. Und ich war immer aktiv in der Kirche.

B.R.: Gibt es eigentlich ein Feedback aus der Kirche?

K.C.: Meine Bücher scheinen sehr beliebt zu sein bei Kirchenbeamten. Robert Runcie, der verstorbene Erzbischof von Canterbury, war ein großer Fan! Das halte ich für das größte Lob!

Appointed to Die

B.R.: In vielen Ihrer Bücher spielt Homosexualität eine Rolle. Momentan gibt es ja viele Entwicklungen und Diskussionen in der Anglikanischen Kirche über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare - haben Sie vor, darüber ein Buch zu schreiben?

K.C.: Das Thema "Homosexuelle und Kirche" ist mir persönlich sehr wichtig. Ich bin heterosexuell, aber ich habe einige schwule Freunde, teils Kirchenbeamte, teils Laien. Und deshalb werde ich in meinen Bücher immer wieder diese Themen aufgreifen, diskutieren und die neuen Entwicklungen aufnehmen.

B.R.: Ihre neue Heldin Callie aus "Schuldig, wer vergisst" ist eine moderne Frau, von Glauben und Hingabe an Gott erfüllt. Aber wird es ihr gelingen, ihr privates Leben und vor allen Dingen ihr Liebesleben mit ihrem Job als Pfarrerin unter einen Hut zu bekommen?

K.C.: Na, das würde Ihnen gefallen, wenn ich das verraten würde… Da müssen Sie schon das neue Buch "Deep Waters" lesen, um mehr über diese Verwicklungen zu erfahren.

B.R.: Ihre Heldinnen sind immer starke Frauen, die für ihre Ideale kämpfen und ihre Arbeit in der Kirche lieben. Finden Sie Ihre Inspiration für diese Figuren in echten Pastorinnen? Gibt es eine "Callie" in Ihrem Leben?

K.C.: Der erste Roman über Callie war tatsächlich durch die Erlebnisse meiner ordinierten Freundinnen motiviert. Callie soll kein exaktes Portrait von ihnen sein, aber sie erlebt einige der Dinge, die meine Freundinnen täglich erleben. Callies Freundin und Mentorin, eine der ersten ordinierten Frauen Großbritannien, habe ich als Hommage an alle Frauen erschaffen, die auf dem Gebiet der Frauenordination soviel Pionierarbeit geleistet und Kämpfe ausgefochten haben.

B.R.: In Großbritannien deutete sich im Sommer 2008 eine Kirchenspaltung an, weil die Rolle von ordinierten Frauen in höheren Positionen der Kirchenhierarchie noch immer ein Problem darstellt. Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Diskussion über Frauen als Bischöfinnen?

K.C.: Ich bin sehr dafür, dass Frauen Bischöfinnen werden können. Ich bin Mitglied von WATCH (Women and the Church / Frauen und die Kirche) und ich habe Kampagnen dafür unterstützt. Letzten Sommer war ich auf der wichtigen Lambeth-Konferenz zu diesem Thema und habe dort für WATCH ehrenamtlich gearbeitet und Bischöfe unterstützt, die weltweit weibliche Bischöfe befürworten.

A Dead Man Out of Mind

B.R.: In all Ihren Büchern schreiben Sie über wertvolle Reliquien, etwa historisches Kirchensilber, Abendmahlskelche und kostbare Leuchter. Woher stammt ihr profundes Wissen über Kirchengeschichte? Sind Sie von Haus aus auch Kunsthistorikerin?

K.C.: Mich hat Geschichte schon immer interessiert, und Kirchengebäude sind auf ihre Art versteinerte Geschichte. Ich habe das Glück, einen guten Freund zu haben, der unheimlich viel über Kirchenmaterial weiß - über Silber, Kleidung und vieles mehr. Auch über Gebäude weiß er viel, und er hat mir sehr viel beigebracht über die Jahre.

B.R.: Wie betreiben Sie Ihre Recherche? Reisen Sie durch verschiedene Kirchenkreise und Gemeinden und besuchen dort Pfarrer und Gemeindemitglieder?

K.C.: Wo immer ich in Großbritannien unterwegs bin, besuche ich am liebsten die Kirchen. Und zwar dann, wenn sie leer sind! Glücklicherweise sind unter meinen Freunden sehr viele Pfarrer, Vikare, Dekane und Bischöfe, so dass ich immer schnell fragen oder emailen kann, wenn ich eine bestimmte Frage habe. Für die nichtkirchlichen Dinge, wie Polizeiarbeit, nutze ich das Internet, aber nur, um mich kurz zu informieren.

B.R.: Woher bekommen Sie die Ideen für Ihre Plots? Entwerfen Sie zuerst den Mord und bauen dann alles darum herum auf? Oder "meucheln" Sie erstmal eine Figur und schauen dann, wie sich die Hauptfiguren darum anordnen?

K.C.: Ich mag es, organisch zu schreiben - das bedeutet, dass ich keine Ahnung habe, was passieren wird. Ich beginne mit einigen Charakteren und mit einer Idee, einem Thema, das ich erörtern möchte. Und manchmal habe ich eine vage Idee, wie sich die Handlung bis zum Schluss entwickeln wird. Dann warte ich einfach ab, was beim Schreiben passieren wird.

B.R.: Ihre Helden sind nie perfekt, sie machen Fehler, verbergen Geheimnisse und suchen nach Liebe und Glück. Warum gönnen Sie Ihnen kein einfacheres Leben?

K.C.: Wenn meine Figuren ein einfacheres Leben führen würden, wären sie uninteressant. Die Leute wollen über Konflikte und Probleme lesen und über Menschen, die sich den gleichen Realitäten stellen müssen wie sie selbst. Es ist wichtig, dass sich die Charaktere in den Büchern verändern und wachsen - und das kann nur passieren, wenn sie sich Herausforderungen in ihren Leben stellen müssen.

Evil Angels Among Them

B.R.: In Ihren Romanen ist das Motiv für einen Mord häufig ein gut gehütetes Geheimnis in der Vergangenheit des Täters. Glauben Sie, dass es möglich ist, seine Geheimnisse lebenslang zu verbergen, ohne sie offenbaren zu müssen? Und würden Menschen wirklich soweit gehen, dass sie jemanden töten, nur um ihren guten Ruf zu schützen?

K.C.: Ich glaube durchaus, dass man ein dunkles Geheimnis ein Leben lang verstecken kann, nur wäre das nicht ideal, um gute und spannende Geschichte darüber zu schreiben! Das Vertuschen eines Geheimnisses ist ein sehr gutes Motiv für einen Mord, wenn die Aufdeckung brisant ist…

B.R.: Glauben Sie daran, dass Schuldgefühle nicht letztlich doch alle Geheimnisse und versteckte Missetaten ans Licht bringt? Ist es nicht sogar so, dass die christliche Beichte und die Vergebung aller Sünden durch Jesu Christi Tod und Auferstehung die Menschen dazu bringt, ihre Sünden zu gestehen?

K.C.: Niemand muss sich offenbaren und ist gezwungen zu bekennen. Es ist ja nur eine Option für die Menschen. Und oftmals sind sie zu beschämt, um dieses Angebot anzunehmen. Anderen gegenüber gut und sicher aufzutreten und dabei eine Maske zu tragen, das ist eine machtvolle Motivation, um Geheimnisse weiterhin zu verstecken.

B.R.: Eines meiner liebsten Bücher ist »Im Namen des Vaters«. Ich mag die Atmosphäre dieser kleinen englischen Kathedralen-Stadt, die Charaktere sind wunderbar und die Handlung spannend und stimmig. Warum haben Sie diese eine Buch ganz außerhalb der beiden Krimireihen angesiedelt?

K.C.: Das war eine reine Business-Entscheidung. Ich war nicht besonders glücklich mit dem Verlag, der die David- und Lucy-Romane veröffentlichte. Und dann wurde mir ein Vertrag von einem anderen Verlag angeboten: drei unabhängige Krimis zu schreiben. Sonst hätte ich wohl mit David und Lucy in ein paar Büchern weitergemacht.

B.R.: Was für Bücher lesen Sie? Bevorzugen Sie Krimis?

K.C.: Ich lese sehr wenig Krimis, abgesehen von denen, die sich auch um kirchliche Dinge drehen (ich muss ja die Konkurrenz beobachten…) Die meisten aktuellen Krimis sind mir zu drastisch oder dann wieder zu heimelig. Ich lese momentan lieber andere Romane.

B.R.: Haben Sie einen bestimmten Lieblingsautor was Krimis angeht? Was ist zum Beispiel mit Andrew Taylor oder Phil Rickman, die ja beide auch über die Kirche schreiben?

K.C.: Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen: Phil Rickman und Andrew Taylor sind meine beiden liebsten Krimiautoren. Meiner Meinung nach sich beide brillant!

B.R.: Sind Sie mit anderen Autoren und Autorinnen "vernetzt"?

K.C.: Schreiben ist ein einsames Geschäft. Und gerade deshalb ist es so wichtig für uns, dass wir kommunizieren. Meine besten Freundinnen sind auch Krimischriftstellerinnen: Marcia Talley und Deborah Crombie. Ich organisiere jedes Jahr auch die Sprecher für die "St. Hilda's Crime and Mystery Conference" in Oxford, allein dadurch habe ich immer Kontakt mit zahlreichen Kollegen.

B.R.: Vielen herzlichen Dank für dieses Interview.

K.C.: Gerne!

 

Eine Bibliographie der Romane Kate Charles' finden Sie auf der Kate-Charles-Seite in den Autoren-Infos.

 

© Bianca Reineke, 2009

 

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