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Leonardo Sciascia

Das Gewissen Italiens

 

Leonardo Sciascia Leonardo Sciascia ist einer der bedeutendsten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war ein leidenschaftlich engagierter Intellektueller, der sich immer wieder in öffentliche Debatten einmischte und für politische Unruhe sorgte, was ihm wahlweise den Ruf als »Kassandra von Racalmuto«, als »Voltaire des 20. Jahrhunderts« oder als »das Gewissen Italiens« einbrachte.

Einerseits fest verbunden mit seiner kargen, bäuerlichen Heimat Sizilien, steht Leonardo Sciascia gleichzeitig in der Tradition der europäischen Aufklärung:

"Aufmerksame Beobachtung der Gegenwart, moralisches und gesellschaftliches Engagement, Freude am Erzählen und den kombinatorischen Kunstgriffen der Prosa, europäische Tradition und aufklärerische Vernunft kennzeichnen das Werk des Sizilianers Leonardo Sciascia." (Manfred Hardt in der FAZ)

Leonardo Sciascia wurde am 8. Januar 1921 in Racalmuto, Sizilien geboren. Er wuchs auf in schlichten Verhältnissen, sein Vater ernährte die Familie von seinem kläglichen Einkommen als Bergarbeiter. Nach der Schule begann Sciascia eine Schneiderlehre und besuchte dann von 1935 bis 1942 eine Lehrerbildungsanstalt. Nach einem Intermezzo als Angestellter einer Behörde wurde er 1949 Volksschullehrer. 1970 scheidet Sciascia aus dem Schuldienst aus und widmet sich ganz dem Schreiben.

Leonardo Sciascia ist ein wortgewaltiger Kenner der europäischen Geistesgeschichte. Er arbeitete lange Jahre als Leiter der Kulturzeitschriften »Galleria« und »Quaderni di Galleria« und schrieb ungezählte Essays und mehrere Bücher zur Literatur. Allein über den sizilianischen Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello (1867 bis 1936) verfasste Sciascia drei Bücher. Doch zu seiner Berühmtheit trugen wesentlich die Romane bei, in denen er sich mit dem Phänomen Mafia auseinandersetzt - seine brillanten, mit - im altmodischen Sinne - Witz vorgetragenen Analysen des italienischen Systems, in dem Politk, Kirche und die Ehrenwerte Gesellschaft eng miteinander verbunden sind (»Der Tag der Eule«, »Tote auf Bestellung«, »Tote Richter reden nicht«, »Todo Modo oder das Spiel um die Macht« und »Man schläft bei offenen Türen«). Jenseits aller Aufgeregtheiten sieht Sciascia in der Mafia eher ein kulturelles und soziales Phänomen, die Mafia interessiert ihn mehr als Geisteshaltung denn als Organisationsform des Verbrechens.

Sciascia spielte eine wichtige Rolle in den öffentlichen Debatten Italiens, in die er immer wieder mit Vorträgen, Essays und Artikeln eingriff. In zwei Anläufen beteiligte er sich aktiv an der Politik: Als Unabhängiger auf der Liste der Kommunistischen Partei wird Sciascia 1975 in den Stadtrat von Palermo gewählt, legt jedoch schon 18 Monate später sein Mandat nieder, weil er sich mit den Kommunisten überworfen hatte. 1979 zieht Sciascia noch einmal für vier Jahre als Abgeordneter der »Partito Radicale« - den Grünen in Deutschland nicht unähnlich - ins Europäische Parlament.

Sciascia war Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Entführung und Ermordung Aldo Moros untersuchte. Er erregte eine hitzige öffentliche Diskussion, als 1978 sein Essay »L'affaire Moro« erschien, in dem Sciascia die These vertrat, Moro sei von seinen eigenen Parteifreunden aus politischem Eigennutz geopfert worden.

Einen weiteren Eklat löste Sciascia 1987 aus: Am 10. Januar erschien im »Corriere della Sera« sein provokanter Artikel mit dem Titel »I professionisti dell'antimafia«. Sciascia warf in dem streitbaren Text prominenten Protagonisten der Anti-Mafia-Bewegung Populismus und eigennütziges Karrieredenken vor und verglich deren Methoden im Kampf gegen die Mafia mit denen der Faschisten. Der Artikel trübte nicht nur die Wahrnehmung Sciascias als unbestechlicher Kämpfer gegen die Mafia - weil Sciascia in seinem Artikel ebenfalls Richter Giovanni Falcone attackierte, versteiften sich manche Eiferer nach der Ermordung Falcones 1992 darauf, Sciascia die geistige Urheberschaft an der Tat zuzuschreiben.

Sciascia war lebenslang mit seiner Heimat Sizilien eng verbunden und hatte sich wie wohl sonst niemand mit dem sozialen und kulturellen Phänomen Mafia auseinandergesetzt: "Für ihn war es beides - das Krebsgeschwür, das die Gesellschaft von innen zerfrisst, und der Funke der Rebellion, der immer noch in dem Herz eines eroberten Volkes lodert." (Alex Abramovich im Village Voice).

Der lange literarische Kampf für Vernunft und Gerechtigkeit scheint den scharfsichtigen und -züngigen Mann schließlich zermürbt zu haben: Sciascia "stellte in einem Gespräch mit trauriger Resignation fest, auf Sizilien, vielleicht in ganz Italien verflüchtige sich die Wahrheit; unmöglich, ihr auf den Grund oder auch nur auf die Spur zu kommen. Tatbestände lösen sich auf, gleiten einem staubfein durch die Finger." (Heinz-Joachim Fischer: Zwischen Himmel, Hölle und Mafia. In: FAZ, 01.08.1998).

Leonardo Sciascia wurde für seine Arbeit mit ungezählten Preisen geehrt, mehrere seiner Romane und Erzählungen wurden von prominenten Regisseuren verfilmt (etwa »Il giorno della civetta« von Damiano Damiani oder »Il contesto« von Francesco Rosi). Nach schwerer Krankheit starb Sciascia am 20. November 1989 in Palermo.

 

Favole della dittatura
[Rom: Bardi, 1950]
1950
La Sicilia, il suo cuore
[Rom: Bardi, 1952]
1952
Pirandello e il pirandellismo
[Caltanissetta: S. Sciascia, 1953]
1953
Le parrocchie di Regalpetra
[Bari: Laterza, 1956]
1956 Salz, Messer und Brot.
Sizilianische Geschichten
[Wien: Zsolnay, 2002]
Gli zii di Sicilia
[Turin: Einaudi, 1958]
1958 Sizilianische Verwandtschaft
[München: dtv, 1989]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1983]
[München: Verlag Steinhausen, 1980]
Il giorno della civetta
[Turin: Einaudi, 1961]
1961 Der Tag der Eule
[Berlin: Wagenbach, 2009]
[Berlin: Aufbau-Verlag, 2000]
[München: dtv, 1987]
[Berlin: Volk & Welt, 1966]
[Olten: Walter, 1964]
Pirandello e la Sicilia
[Caltanissetta: S. Sciascia, 1961]
1961
Il Consiglio d'Egitto
[Turin: Einaudi, 1963]
1963 Das ägyptische Konzil
[Berlin: Die Andere Bibliothek, 2016]
Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1982]
[Berlin: Volk & Welt, 1967]
[Olten: Walter, 1967 u.d.T. »Der Abbé als Fälscher«]
Morte dell'inquisitore
[Bari: Laterza, 1964]
1964
Feste religiose in Sicilia (fotografie di Fernando Scianna)
[Bari: Leonardo da Vinci, 1965]
1965
L'onorevole. Dramma in tre atti
[Torino: Einaudi, 1965]
1965
A ciascuno il suo
[Turin: Einaudi, 1966]
1966 Jedem das Seine / Tote auf Bestellung (1)
[Berlin: Wagenbach, 2008 mit neuem Titel]
[Berlin: Aufbau-Verlag, 2001]
[Zürich: Benziger, 1991]
[München u.a.: dtv, 1971]
[Berlin: Volk & Welt, 1968]
[Olten: Walter, 1968]
Recitazione della controversia liparitana dedicata ad A.D.
[Turin: Einaudi, 1969]
1969
La corda pazza. Scrittori e cose della Sicilia
[Turin: Einaudi, 1970]
1970
Il contesto
[Turin: Einaudi, 1971]
1971 Der Zusammenhang
[Berlin: Wagenbach, 2010]
[Berlin: Aufbau-Verlag, 2001]
[München: dtv, 1988]
[Berlin: Verlag Neues Leben, 1980]
[Frankfurt/M. u.a. Ullstein, 1978 unter dem Titel »Die Macht und ihr Preis«]
[Zürich: Benziger, 1974 unter dem Titel »Tote Richter reden nicht«]
Atti relativi alla morte di Raymond Roussel
[Palermo: Sellerio, 1971]
1971
Il mare colore del vino
[Turin: Einaudi, 1973]
1973 Das weinfarbene Meer
[Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1999]
[Berlin: Wagenbach, 1997]
[Berlin: Volk und Welt, 1975]
Todo modo
[Turin: Einaudi, 1974]
1974 Todo Modo oder das Spiel um die Macht
[München: dtv, 1990]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1979]
[Zürich: Benziger, 1977]
La scomparsa di Majorana
[Turin: Einaudi, 1975]
1975 Das Verschwinden des Ettore Majorana
[Berlin: Wagenbach, 2003]
[Baden-Baden: Elster-Verlag, 1996 mit neuem Titel]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1980]
[Stuttgart: Seewald, 1978 unter dem Titel »Der Fall Majorana«]
I pugnalatori
[Turin: Einaudi, 1976]
1976
I pugnalatori
[Turin: Einaudi, 1976]
1976
Candido ovvero un sogno fatto in Sicilia
[Turin: Einaudi, 1977]
1977 Candido oder ein Traum in Sizilien
[München: dtv, 1990]
[Frankfurt/M. u.a.: Ullstein, 1981]
[Zürich: Benziger, 1979]
L'affaire Moro
[Palermo: Sellerio, 1978]
1978 Die Affäre Moro
[Königstein: Autorenedition im Athenäum-Verlag, 1979]
Dalle parti degli infedeli
[Palermo: Sellerio, 1979]
1979
Nero su nero
[Turin: Einaudi, 1979]
1979 Schwarz auf Schwarz
[München: dtv, 1991]
[Wien: Zsolnay, 1988]
Il teatro della memoria
[Turin: Einaudi, 1981]
1981 Aufzug der Erinnerung
[Zürich: Benziger, 1984]
La sentenza memorabile
[Palermo: Sellerio, 1982]
1982
Kermesse
[Palermo: Sellerio, 1982]
1982
Cruciverba
[Turin: Einaudi, 1983]
1983
Occhio di capra
[Turin: Einaudi, 1984]
1984
Stendhal e la Sicilia
[Palermo: Sellerio, 1984]
1984
Cronachette
[Palermo: Sellerio, 1985]
1985
Per un ritratto dello scrittore da giovane
[Palermo: Sellerio, 1985]
1985
Per un ritratto dello scrittore da giovane
[Palermo: Sellerio, 1985]
1985
La strega e il capitano
[Mailand: Bompiani, 1986]
1986
La strega e il capitano
[Mailand: Bompiani, 1986]
1986
1912 + 1
[Mailand: Adelphi, 1986]
1986 1912 + 1
[München: dtv, 1991]
[Wien: Zsolnay, 1989] (2)
Pirandello dalla A alla Z
[Roma: Editoriale L'Espresso, 1986]
1986
Porte aperte
[Mailand: Adelphi, 1987]
1987 Man schläft bei offenen Türen
[München: dtv, 1991]
[Wien: Zsolnay, 1989] (2)
Il cavaliere e la morte
[Mailand: Adelphi, 1987]
1987 Der Ritter und der Tod
[Berlin: Wagenbach, 1996]
[Wien: Zsolnay, 1990]
Ore di Spagna (mit Fotografien von Ferdinando Scianna)
[Marina di Patti: Pungitopo, 1988]
1988
Alfabeto pirandelliano
[Mailand: Adelphi, 1989]
1989
Una storia semplice
[Mailand: Adelphi, 1989]
1989
Fatti diversi di storia letteraria e civile
[Palermo: Sellerio, 1989]
1989
A futura memoria
[Mailand: Bompiano, 1989]
1989

 

(1) Der Roman erschien bis einschließlich der Aufbau-Ausgabe von 2001 unter dem Titel »Tote auf Bestellung«, der Wagenbach Verlag publizierte das Werk 2008 unter dem Titel »Jedem das Seine«. Wirklich neu ist der Titel nicht: Bereits in dem 1985er Sammelband »Das Gesetz des Schweigens«, der Sciascias sizilianische Romane enthält, trug der Roman den Titel »Jedem das Seine«.
Es gibt noch eine Theater- und Hörspielfassung mit dem Titel »Jagd auf sizilianisch«. Falsch ist die Angabe, Leonardo Sciascia habe an der Dramatisierung seines Romans mitgewirkt - allein verantwortlich ist der italienischen Dramatiker Ghigo de Chiara. Das Stück wurde 1980 in Mailand uraufgeführt, damals noch unter dem Titel, den auch der Roman trägt. (Vgl. Markus Collalti: Das Herz der Mafia. In: FAZ, 02.11.1999)

(2) Die Zsolnay Ausgabe ist eine Sammelausgabe. Sie enthält »1912 + 1«, »Man schläft bei offenen Türen« und die Erzählung »Der Fall Majorana«.

 

In deutscher Sprache sind noch einige Bücher von Leonardo Sciascia erschienen, für die es im Original keine Entsprechung gibt:

Die Tante aus Amerika (La zia d'America). 3 Erzählungen. Berlin: Volk und Welt, 1964
Das Hexengericht. 3 Erzählungen. Zürich: Benziger, 1986 und München: dtv, 1988
Mein Sizilien. Berlin: Wagenbach, 1995
Das Gesetz des Schweigens«, Wien, Zsolnay, 1998 (1. Aufl. - Zürich: Benziger, 1985). Der Band enthält die drei sizilianischen Romane »Der Tag der Eule«, »Jedem das Seine« (Tote auf Bestellung) und »Der Zusammenhang« (Tote Richter reden nicht).

 

© j.c.schmidt, 2001 - 2010

 

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