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William Krasner

Walk the Dark Streets

Claus Kerkhoff über William Krasner und seine Kriminalromane

 

Walk the Dark Streets In dem heruntergekommenen Marne-Hotel wird eine Sängerin und Hostess erstochen aufgefunden. Obwohl Captain Sam Birge, Chef der Mordkommission, seinen freien Tag hat, eilt er an den Tatort und übernimmt die Ermittlungen. Sein Assistent Lieutenant Charley Hagen ist von der Ankunft des Chiefs alles andere als begeistert: Hagen, ehrgeizig und karrierefixiert, hatte gehofft, den Fall selbst übernehmen zu können. Ihm sind die behutsamen Methoden seines Captains zuwider. Sein flammender Ehrgeiz lässt Hagen nicht ruhen - doch dann begeht er einen kapitalen Fehler.

Die Einleitung zu William Krasners erstem Kriminalroman »Walk the Dark Streets« aus dem Jahre 1949 entfaltet ein Spannungsfeld, aus dem alle Romane der kleinen Serie ihre Energie beziehen werden: aus dem Gegensatz zwischen den beiden Protagonisten - dem älteren, leicht schwerfälligen Sam Birge und dem jungen, zynisch-emotionslosen Charley Hagen.

Sam Birge ist ein großer, kräftiger Mann mit ernstem Gesicht. Er bewegt sich schwerfällig und langsam, aber methodisch und gewissenhaft ist seine Ermittlungsarbeit. Er zieht keine schnellen Schlussfolgerungen, sondern prüft die Indizien von allen Seiten. Seit Birge die Hinrichtung eines Unschuldigen miterleben musste - drei Tage nach der Exekution legte der tatsächliche Mörder ein Geständnis ab -, nagt an ihm die Angst vor Ermittlungsfehlern. Fügen sich nicht alle Elemente nahtlos ineinander, lässt ihm der Fall keine Ruhe, selbst wenn eine Akte offiziell geschlossen ist. Die Bürde der Verantwortung lastet schwer auf seinen Schultern: Mit Wehmut denkt Sam Birge manchmal an unbeschwerte Tage zurück, als er als uniformierter Streifenpolizist seine langen, aber unkomplizierten Runden drehte.

Blackout! Charley Hagen, Birges Assistent, ist in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil des Captains. Hagen ist schlank, sportlich, immer gut gekleidet und ein eingefleischter Junggeselle. Ehrgeiz und Karriere stehen bei ihm an erster Stelle - er neigt zu vorschnellen Verdächtigungen und geht oft brutaler vor als nötig. Dennoch ist Hagen ein guter Cop, der sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentriert. Die Lösung eines Falles ist für ihn ein Spiel, eine Art sportlicher Wettkampf, in dem Polizist und Verbrecher ihre Fähigkeiten messen. Trotz diverser Missgeschicke dient die Figur Charley Hagen gewiss nicht als Folie, die die Fähigkeiten seines Chiefs erst richtig zum Strahlen bringen. Andersrum: Wenn man die fünf Birge/Hagen-Romane in chronologischer Reihenfolge liest, fällt auf, dass Birge und Hagen sich aufeinander zu entwickeln und einander zu schätzen lernen.

Autor William Krasner beschreibt sehr einfühlsam, wie seine Figuren durch die Polizeiarbeit deformiert werden. Den Namen der Stadt nennt der Autor nirgends, viele Indizien aber - etwa "Geruch vom Ohio River" oder auch die Erwähnung benachbarter Counties - deuten darauf hin, dass seine Romane in St. Louis spielen. Das Milieu, in dem die beiden ermitteln, ist meist trostlos: »Walk the Dark Streets« führen Birge und Hagen in das schäbige Marne-Hotel, in dem viele Gestrandete leben. Ihr Schicksal ist auf tragische Weise miteinander verknüpft. »The Stag Party« beginnt mit einem feuchtfröhlichen Junggesellenabschied im Roman Hotel. Tags darauf wird die Leiche einer jungen Frau im Innenhof der Absteige gefunden - war sie in Panik von der Feuertreppe gestürzt? Die Polizisten glauben nicht an einen tragischen Unfall. Das Künstler- und Intellektuellen-Milieu steht im Mittelpunkt von »Death of a Minor Poet«: Ein junger Mann liegt erschlagen im Flur eines verranzten Mietshauses; am Tatort wimmelt es von zwielichtigen Künstlergestalten, gescheiterten Intellektuellen und Möchtegern-Bohemiens.

Death of a Minor Poet Mit Waffenfetischismus und dem Vietnam-Trauma bekommem es Birge und Hagen in »Resort to Murder« zu tun: Ein Deputy hat unter zwielichtigen Umständen einen Mann erschossen, der mit Freunden ein Wochenende in einem Ferienhaus verbringen wollte. Als der zuständige Sheriff keine Ermittlungen einleiten will, mischt Sam Birge sich ein. In »Death, the Dancer« schließlich legen sich Birge und seine Kollegen mit dem organisierten Verbrechen an: Im Golden Glow wird die Unterweltgröße Vincent Maglia von einem Profi-Killer erschossen. Wenig später findet man einen weiteren Unterweltboss tot in einem Müllcontainer - Vorzeichen eines gewalttätigen Bandenkrieges?

Krasners Kriminalromane zeichnen sich durch eine ungewöhnlich differenzierte Charakterisierung der Täter aus. Auf wenigen Seiten nur umreißt Krasner komplexe und damit hoch spannende Persönlichkeiten. Zumeist liegt das Motiv ihrer Untaten tief in der Vergangenheit, und manchmal scheint der Täter selbst ein Opfer zu sein. Sam Birge nimmt Anteil an ihren Schicksalen, bringt bisweilen sogar Verständnis auf. Wenn es die Umstände erfordern, agiert Birge aber auch mit voller Härte - schließlich ist er Polizist und hat einen Job zu erledigen.

Die letzte Tat des Mr. Goodman Die Romane Krasners sind zwar klassische police procedurals, aber sie folgen nicht dem üblichen Schema "Verbrechen - Ermittlung - Bestrafung". Mit der Überführung des Täters ist in Krasners Romanen die Ordnung der Welt noch lange nicht wieder hergesellt. Krasner entlarvt so das Funktionsprinzip der klassischen Detektivgeschichten als Scheinordnung: Bei ihm bleibt es am Ende immer offen, ob es überhaupt Gerechtigkeit und damit Hoffnung auf eine bessere Welt geben kann.

Krasner entwirft komplexe, verwickelte Plots. Seine Geschichten und Milieuschilderungen sind voller Tiefenschärfe und stimmiger Details. Trotzdem wirken sie niemals überfrachtet. Nach wenigen Seiten ist man mit diesen Welten vertraut, weil Krasner präzise und stimmig die Atmosphäre einfängt. Er nimmt sich Zeit, auch Neben- und Randfiguren genau auszuleuchten. Und er beherrscht die große Kunst, das Erzähltempo mal zu beschleunigen und dann wieder zu bremsen. Krasner erzählt gelassen, mit kurzen Sätzen und authentischen Dialogen, in denen die Figuren lebendig werden. "Ein finsterer, milieusicher erzählter, bitter realistischer Roman, der den literarischen Vergleich auf hoher Ebene ohne weiteres standhält.", urteilte Heinrich Vormweg im WDR über Krasners Debüt »Auf dunklen Strassen«. In der Tat berühren die Birge und Hagen-Romane wie sonst nur wenige Texte des Genres.

Opfer einer Razzia William Krasner, 1917 in St. Louis geboren, arbeitete in einem Krankenhaus, einem Kaufhaus und bei der Post bevor er sich 1942 freiwillig zum Army Air Corps meldete und in einer Einheit für Wetteraufklärung im Pazifik diente. Krasner studierte Psychologie und Literatur an der Washington University und später an der Columbia University. Sein erster Sam Birge-Roman »Walk the Dark Streets« erschien 1949 und wurde als bestes Debüt für den Edgar Allan Poe Award nominiert. Das Nachrichtenmagazin Newsweek nahm das Werk in die Liste der zehn besten Kriminalromane des Jahres auf. Auch Krasners folgende Romane wurden von den Kritikern sehr positiv beurteilt: Der Autor wurde mit dem frühen Ed McBain und Georges Simenon verglichen. Charles Willeford etwa lobte »Death of a Minor Poet« als sorgfältige Darstelung eines 24-Stunden-Ermittlungstages mit hohem literarischen Wert.

Trotz durchweg positiver Kritik waren Krasners Romane nicht vom kommerziellen Erfolg gekrönt. Nach zwei Standalones und zwei Birge-Hagen-Romanen gab Krasner seine schriftstellerische Karriere wieder auf. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als freier Journalist hauptsächlich für wissenschaftliche Zeitschriften und als Autor und Produzent von nahezu einhundert Fernseh- und Radioproduktionen. Anfang der Achtziger Jahre schreibt William Krasner ein historisches Buch (»Francis Parkman, Dakota Legend«) und wendet sich anschließend - nach fast dreißig Jahren Pause - wieder seinen beiden Cop-Figuren zu: In »Death of a Minor Poet« verarbeitet Krasner seine persönlichen Erfahrungen als junger Autor.

William Krasner starb am 29. Oktober 2003 im Alter von 86 Jahren in Byrn Mawr, Pennsylvania.

 

Sam Birge und Charley Hagen-Serie:
Walk the Dark Streets
[New York: Harper, 1949]
[London: Transworld Publishers, 1952]
1949 Auf dunklen Straßen
[Reinbek: Rowohlt, 1989]
The Stag Party
[New York: Harper, 1957]
[London: Transworld Publishers (?), 1957]
1957 Blackout!
[Reinbek: Rowohlt, 1990]
Death of a Minor Poet
[New York: Scribner, 1984]
1984 Tod eines Bohemien
[Reinbek: Rowohlt, 1990]
Resort to Murder
[New York: Scribners, 1985]
1985 Die letzte Tat des Mr. Goodman
[Reinbek: Rowohlt, 1991]
Death, the Dancer (1) 1990 Opfer einer Razzia
[Reinbek: Rowohlt, 1991]

 

(1) Der Roman ist im Original nicht erschienen.

 

Andere Romane:
The Gambler
[New York: Harper, 1950]
[London: Transworld Publishers, 1952]
1950
North of Welfare (2)
[New York: Harper, 1954]
[London: Constable, 1955]
1954
Francis Parkman, Dakota Legend
[Wayne, Pa.: Banbury und New York: Dell, 1982]
1982

 

(2) 1953 erschien im Ellery Queen's Mystery Magazine #120 eine Short Story mit dem Titel »All In The Day's Work«, die als Vorarbeit zum Roman betrachtet werden kann. Die Story erschein 1989 unter dem Titel »Nur Kein Mitleid mit ihm« auf Deutsch, in der Anthologie »Heimlich, still und mörderisch« (hrsg. von Bernd Jost u. Peter M. Hetzel, Reinbek: Rowohlt, 1989).

 

© Claus Kerkhoff, 2004

 

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