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Blutrünstige Fastenzeit

Über Walter Satterthwaits Roman »Scherenschnitte«

 

Scherenschnitte Der Serienkiller als Sujet der Kriminalliteratur ist ausgereizt - im wahrsten Sinne. Seit Jahren überbieten sich die Texte nach dem Prinzip schneller, höher, weiter in ihren grausigen Details. Die Erzählperspektive rückt immer näher ran ans widerwärtige Geschehen: In Großaufnahme und Zeitlupe wird gemeuchelt, gemetzelt und geschnibbelt, bis kein menschliches Gewebe mehr unberührt bleibt. Nur eins bleibt davon zunehmend unberührt: der Leser.

Dass Serienkillerromane nicht nur sinnentleerter, bluttriefender thrill sein müssen, sondern mit ruhiger und präziser Prosa bestechen können, beweist Walter Satterthwait mit seinem neuen Roman »Scherenschnitte«. Gewiss, manch unappetitliches Detail bleibt dem Leser auch hier nicht erspart - das liegt in der Natur des Themas. Doch Satterthwait verzichtet darauf, zum Amüsement des Publikums gleich reihenweise geschundene Kadaver in die Landschaft zu legen, und er übersieht an keiner Stelle, was gute Literatur eben nie vergisst: dass sie von Menschen erzählt.

Auf St. Anselm, einer fiktiven Insel an der Golfküste Floridas, ereignet sich ein schauriger Mord: Zu Lebzeiten hatte Marcy Fleming wohl 150 Kilo auf die Waage gebracht, doch als die Polizei ihre Leiche entdeckt, ist sie makellos schlank. Der Mörder schnitt seinem Opfer das Fett aus dem Leib, als wollte er aus ihrem Körper eine perfekte Figur schnitzen wie aus einem Stück Seife.

Die Ermittlungen führen die junge, griechischstämmige Sophia Tregaskis, immer ängstlich auf ihren Waden- und Bauchumfang schielernder rooky der Provinz-Polizei, und der zynische Routinier John Fallon, ein verdrießlicher Einzelgänger mit Alkoholproblemen. Unterstützt werden sie schließlich von der Psychologin Eva Swanson, die den Cops bereits in einem früheren Fall zur Seite stand. Swanson kannte das Opfer obendrein persönlich: Die schwergewichtige Marcy Fleming hatte die Psychologin um therapeutische Hilfe bei ihren Diät-Bemühungen ersucht. Ein paar Tage schon nach dem ersten Mord wird eine zweite wohlbeleibte Frau getötet. Polizei und Politik zeigen sich nervös, die erschreckte Öffentlichkeit deckt sich mit Entwässerungspräparaten und Diätpillen ein. Trotz allerlei romantischer Flausen im Kopf, macht Tregaskis ihrem Vornamen Sophia alle Ehre und belebt die stockenden Ermittlungen mit ihren blitzgescheiten Einfällen. Als sie den Fisch schließlich an der Angel hält, wartet eine Mordsüberraschung auf die Polizistin - und auf den Leser!

»Scherenschnitte« von Walter Satterthwait ist weit mehr als nur ein Serienkiller-Roman. Trotz ungezählter Anleihen bei und Anspielungen auf andere einschlägige Werke (bis hin zum florida-typischen Hurrikan, der das dramatische Finale orchestriert), ist das Buch auch nicht bloß eine Parodie des Subgenres. »Scherenschnitte« ist ein gewitzter Roman über Gourmets und Gourmands und als solcher hochpolitisch: Kulinarische Freiheiten und Zwänge hängen davon ab, welcher sozialen Schicht man angehört - und welchem Geschlecht.

Gewiss, diese Erkenntnis ist nicht neu, aber das subtile Spiel um Nahrung, Gesundheit und Körperlichkeit zu der tragenden Säule eines Serienkiller-Romans zu machen, ist brisant: Satterthwaits feinsinnige Parodie auf Ess-Kultur und Schlankheitswahn, die im Original den trefflichen Titel »Perfection« trägt, findet seit seiner Vollendung vor zwei Jahren keinen Verlag. "Die amerikanischen Verleger und Lektoren haben mein Buch regelrecht gehasst!", sagt Walter Satterthwait bei einem Gespräch in Berlin. "Sie haben mir sogar vorgehalten, das Buch sei unpatriotisch.". Wohl an - welcher Serienkiller-Roman wurde schon mit so einem Prädikat geadelt?

 

© j.c.schmidt, 2003

 

Walter Satterthwait: Scherenschnitte. (Perfection, 2001). Roman. Aus dem Amerikanischen von Gunnar Kwisinksi. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2003, 478 S., 9,90 Euro.

 

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