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Everybody's Darling

Über Jean-Patrick Manchette

 

Tödliche Luftschlösser Das vielgehätschelte Lieblingskind der Krimikritik ist derzeit der Distel Literatur Verlag mit seiner "Série Noire". Flaggschiff der Reihe ist das Werk Jean-Patrick Manchettes, der - nachdem seine Romane bereits in den 80ern und frühen 90ern durch mehrere deutsche Verlage gereicht wurden - nun mit neu übersetzten Büchern in feiner Ausstattung auch hier eine verlegerische Heimat gefunden hat.
Das ist gut so.

Mit »Westküstenblues« und »Tödliche Luftschlösser« hat der Distel Literatur Verlag vor kurzem gleich zwei Romane Manchettes auf den Markt gebracht - und der "doppelte Manchette" macht etwas sichtbar, was bei zeitlich auseinanderliegender Publikation (und Lektüre) vielleicht nicht so ins Auge fällt.

Zunächst: Manchette erzählt in beiden Büchern die gleiche Geschichte mit anderen Figuren. In »Westküstenblues« wird der leitende Angestellte Georges Gerfaut aus Paris von einem Killer-Duo gejagt, ohne dass der Gehetzte wüsste, warum. Gerfault zieht sich nach einer Irrfahrt, in deren Verlauf er sich diverse Blessuren holt, in die Alpen zurück. In den Bergen kommt es zu einem Gemetzel mit den Auftragsmördern.

»Tödliche Luftschlösser« erzählt die Geschichte des ahnungslosen Kindermädchens Julie und ihres Zöglings Peter, die von einem Killer-Quartett verfolgt werden. Nach einer Irrfahrt, bei der Julie und Peter diverse Blessuren erleiden (und sich die Gruppe der Verfolger beträchtlich dezimiert), ziehen sich die Gejagten ins Massif Central zurück. In den Bergen kommt es zu einem Gemetzel mit Killer und Auftraggeber.

Beide Texte sind sich nicht nur inhaltlich ähnlich, sondern auch formal: Für »Tödliche Luftschlösser« als auch für »Westküstenblues« wählte Manchette eine zappelige Erzählperspektive - mal verbeißt er sich in Details (vorzugsweise bei Waffen, Fahrzeugen, Kleidung), ist also ganz allmächtiger Gott über seine poetische Wirklichkeit. Dann nimmt er unvermittelt eine Man-weiß-es-nicht-so-genau-Haltung ein. Manchettes Dialoge sind so stilisiert, als wolle er mit jedem Satz verdeutlichen, er schreibe nicht über Menschen, sondern über Figuren. In »Westküstenblues« unterbricht er wahllos den Fluss der Dialoge mit - meist belanglosen - Anmerkungen, die er in Klammern einfügt:

'»Verzeihen Sie, ich bitte Sie«, sagte er. (Er gluckste vor Lachen. Sein Rücken stieß gegen die Zwischenwand.) »Das kommt daher, weil ich acht oder zehn Monate hier verbracht hab, ich hab den ganzen Winter in einer Art sexuellen Stase verbracht, verstehen Sie?« (Er murmelte nur noch; versuchte nicht mal, verständlich zu sein.)'

Westküstenblues Was soll das - Kasperle-Theater für Erwachsene? Pariser Puppenkiste für Progressive?

Manchette wird als großer Stilist gefeiert. Merkwürdige Partizipien wie "aufessend" kann man wohl der deutschen Übersetzung anlasten. Aber einen Satz wie "Energisch zerbrach er nervös einige Tannenzweige"? Wenn die Satzmelodie zum Wiegenlied wird, weil er diverse aufeinanderfolgenden Sätze immer mit dem Subjekt einleitet? Auch ist Manchette kein Freund schillernder Bilder: "Die Vegetation war üppig und robust" heißt es etwa lapidar, wenn er über Natur schreibt. Sein ästhetisches Verfahren scheint im Gegenteil darin zu bestehen, fast alles Poetische zu eliminieren, alles zu stilisieren, damit es möglichst kalt, damit es vermittelt wirkt. Aus der Reduktion allerdings entsteht zum Teil wieder etwas ganz Eigentümliches - etwas Poetisches.

Das könnte man als Resümee so stehen lassen, wenn sich die beiden Romane nicht durch eine kaum zu ertragende Brutalität auszeichneten: Da wird mit Hammern und Wagenhebern auf ungeschützte Schädel eingeschlagen, während der Ballereien fliegen diverse Körper- und Gelenkstücke in der Gegend rum, da werden Füße zermatscht, Ohren abgerissen oder in selbige der Inhalt zweier Läufe eines Jagdgewehrs abgefeuert. Von all diesen Scheußlichkeiten berichtet Manchette völlig distanziert und ungerührt - kalt, stilisiert, vermittelt -, als rezensiere er eine Opernaufführung. Und zu diesem Horror schneiden seine Figuren Grimassen. Ist das Kult? Oder schlägt hier ein poetisches Verfahren in blanken Zynismus um?

Gewiss, Manchette ist einer der Großen des Genres. Man muss seinem Werk und seiner distanzierenden Technik Respekt zollen - lieben aber muss man seine Romane nicht.

 

© j.c.schmidt, 2002

 

Jean-Patrick Manchette: Westküstenblues. (Le petit bleu de la côte Ouest, 1977). Aus dem Französischen von Stefan Linster. Heilbronn: Distel Literaturverlag, 2002, 169 S., 10.80 Euro (D)
Jean-Patrick Manchette: Tödliche Luftschlösser. (Ô dingos, ô chateaux!, 1972). Aus dem Französischen von Stefan Linster. Heilbronn: Distel Literaturverlag, 2002, 194 S., 10.80 Euro (D)

 

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