legal stuff Impressum Datenschutz kaliber .38 - krimis im internet

 

Auf arschglatter See

Über Jörg Juretzkas Roman »Equinox«

 

Equinox Die Diesel stampfen durch den Nebel, die Schrauben fräsen sich durchs feuchte Element: Der supermoderne Luxusliner »Equinox« walzt sich seine Rinne durchs polare Meer. An Bord erholen sich rüstige Rentner vom Pensionärsdasein und joviale Japaner vom Globalisierungsstress. Für ihr Wohlergehen sorgt eine multikulturelle Mannschaft, für ihre Sicherheit ein sonderbarer Matrose: Kristof Kryszinski, der wohl berüchtigste Privatdetektiv in der aktuellen deutschsprachigen Kriminalliteratur. Die blanke Not trieb das Landei aus Mülheim an der Ruhr auf hohe See: Kryszinski und sein Kumpel Scuzzi hatten sich mit einem albanischen Drogenclan angelegt und mussten die geliebte "Perle des Ruhrgebiets" fluchtartig verlassen, bis wieder ausreichend Schnee über der Affäre liegt.

Wer Kristof Kryszinski kennt, buchstabiert Chaos mit K - bald schon wünscht sich manch einer der See-Mannen, er hätte lieber auf der Titanic angeheuert. Eine kopflose Leiche suppt und mufft unter Kristofs Koje - ein wichtiges Asservat, das der Detektiv bis in den nächsten Hafen retten will, denn der Bordarzt befand allzu flink auf Suizid. Kristofs Stressfaktor steigt mit einem verschwundenen Sack Golden Triangle Basmati-Reis und einigen Milliönchen, die nach Gebrauch einer brandneuen japanischen Kreditkarte ratzfatz von den Konten der konsternierten Passagiere verschwunden sind.

Dem Sturkopp Kryszinski ist der Kurs seiner Vorgesetzten eine Idee zu "geschmeidig". Diplomatie ist des Schnüfflers Sache nicht, und so sieht sich der zweite Mann der Schiffs-Security bald degradiert: Fortan ermittelt er auf eigene Faust, mit Wolkenmützchen getarnt als leicht uninspirierter Animateur eines Kochkurses: "'Kochkürs? Cette après-midi mit Pierre Bocuse, Neffe von die berühmte maître de la cuisine!'" Scuzzi, der auf der »Equinox« als "eine Art Generalmusikdirektor" dient, berieselt den Kahn von Modern Talking bis Chris de Burgh rund um die Uhr mit allen erdenklichen musikalischen Grausamkeiten, die gerecht zu sühnen es der Wiedereinführung frühchristlicher Folterpraktiken bedürfte. Kein Wunder also, dass sich Kryszinski gegen derartige Pein ungezählte Pillen verordnet, deren Nebenwirkungen man üblicherweise nicht mit Arzt und Apotheker erörtert, und seinen Rüssel so tief ins Puder steckt, dass es jedem Talkmaster graust.

»Equinox« ist Jörg Juretzkas fünfter Roman um den angedröhnten Ruhrpott-Schnüffler Kristof Kryszinski und bietet - wie seine Vorläufer - herrlich schräges und erfrischend schonungsloses Lesevergnügen. Aus dem Ende hätte man durchaus einen Schluss machen können, doch sei's drum. Juretzka stellt einmal mehr seine gewitzte Sprachakrobatik unter Beweis, mit der er wie kaum ein anderer des Genres Bilder und Metaphern elektrisiert. Vor Verschleiß versucht der Autor seinen Anti-Helden Kryszinski zu schützen, indem er die Schauplätze der Serie wechselt oder die Handlung in der Zeit vorverlegt. Das gelingt nur bedingt, denn bei allem Frohsinn wirft das Hochseespektakel »Equinox« die Frage auf: Wie viel launige Kryszinski-Romane kann Jörg Juretzka noch schreiben, bis sich seine Stammleserschaft langweilt?

 

© j.c.schmidt, 2003

 

Jörg Juretzka: Equinox. Roman. Originalausgabe. München: Ullstein Taschenbuch Verlag, 2003, 287 S., 7.95 Euro.

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen