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Die dunkle Seite der Macht

Zur Kritik am Deutschen Krimi Preis

 

Der Deutsche Krimi Preis ist eine Auszeichnung, mit dem eine rund dreißigköpfige Jury aus Kritikern, Buchhändlern und Wissenschaftlern einmal im Jahr ihre Favoriten prämiert. Die Juroren sind aufgerufen, die Neuerscheinungen des Jahres zu sichten, und dürfen ihre drei Favoriten in den Kategorien "National" und "International" mit drei, zwei und einem Punkt auszeichnen. Schließlich werden alle Zettel ausgewertet, die Punkte zusammengezählt und in den beiden Kategorien jeweils das Buch, das die meisten Punkte auf sich vereinigen konnte, zum Preisträger des Jahres ernannt. Ebenfalls benannt werden die Titel, die auf die zweiten und dritten Plätze gelangten. Der Vorgang ist also simpel, in hohem Maße transparent und sauber. Und der Vorgang ist für jeden durchschaubar, ob er nun zur Jury gehört oder nicht. Die Stimmzettel liegen bei Reinhard Jahn aus, der die Preisvergabe in stundenlanger, unbezahlter Arbeit organisiert, und können von jedem eingesehen werden - auch von Nicht-Juroren.

Das Gemaule am Deutschen Krimi Preis ist ungefähr so alt wie die Auszeichnung selbst. Unter dem Titel Von Streichelzoos und Dauerjammer hat jüngst der Kollege Lars Schafft von krimi-couch.de einen Artikel ins Netz gestellt, der sich als eine Art Generalkritik am Deutschen Krimi Preis und seiner Jury-Mitglieder feiert, aber nur den Unsinn repetiert, der seit langen Jahren immer wieder vorgetragen wird. Schafft, der sich als Kontrolleur der Jury aufspielt, dokumentiert in seinem Text, dass er sich mit der Materie nicht wirklich auskennt. Statt die Lücken mit Recherchen zu füllen, ergeht sich der Autor in dunklen Andeutungen, die konkret auszuformulieren er sich wiederum nicht getraut.

Gegen die jüngst prämierten Krimis selbst scheint der Autor erst einmal keinen Einwand zu haben. "Mehr oder weniger lieblos flattern die Pressemitteilungen herein", mosert er und findet es "trist", dass die Preisträger einfach so bekanntgegeben werden. In der Tat ist das Prozedere nicht gerade umwerfend - verglichen mit den rauschenden Parties, die etwa bei ähnlichen Preisverleihungen in den USA oder in England stattfinden. Wenn ich's richtig vernommen habe, hat sich der Organisator Reinhard Jahn jahrelang die Hacken abgelaufen, um Geldgeber für eine entsprechende Veranstaltung zu finden - ohne Erfolg. In dem Punkt hat Lars Schafft sicher recht, nur läuft er Türen ein, die sperrangelweit offen stehen. Seit langer Zeit.

Nach längerem Plemplem kommt Schafft so langsam zum eigentlichen Zwecke seines Anliegens - der rhetorischen Frage, ob sich denn wirklich hinter den prämierten Titeln gute Krimis verbergen. "Vertrauen ist gut, Kontrolle natürlich besser", schreibt Schafft. "In achtzig Phrasen um die Welt", möchte man mit Wiglaf Droste ergänzen. Irgendwie suspekt sind ihm die Mitglieder der Jury, die in dem Beitrag als "(selbst-)ernannte Experten" bezeichnet werden. Ich kenne gewiss nicht alle, aber in jedem Fall mehr Jury-Mitglieder als der Autor, und kann ihm an dieser Stelle versichern, dass keiner unter ihnen das Wort "Experte" jemals für sich reklamiert hätte. Das spielt für ihn aber nicht wirklich eine Rolle, denn die billige rhetorische Figur scheint ihm geglückt: Die Jury, so das Destillat, ist ein Dünkel aus selbstgefälligen und arroganten Menschen, die ein gewichtiges Urteil fällen.
Eine Art Geheimloge.
Die dunkle Seite der Macht.

Komplett besegelt sind die Juroren nun aber nicht, denn mit Blettenberg, Vargas und Christopher G. Moore gesteht Krimifachmann Schafft zumindest drei der jüngst ausgezeichneten Autoren zu, irgendwie "wertvolle Kriminalliteratur" zu schreiben. Unbehagen bereitet ihm allerdings eine "bemerkenswerte Kontinuität": Mit Blettenberg, Anne Chaplet und George P. Pelecanos tauchen im Deutschen Krimi Preis 2004 drei Autoren auf, die in der zwanzigjährigen Geschichte des Preises bereits gewürdigt wurden. Das ist höchst verdächtig. Irgendwie. Worauf Schafft mit seiner Andeutung hinaus will, sagt er nicht.
Raum für Spekulation.
Und Unbehagen.

Eigentlich ist der Deutsche Krimi Preis eine Farce, denn die "Zahl der veröffentlichten Krimis im Jahr geht ins fünfstellige". Große Zahlen sind nicht jedermanns Sache, und auch Schafft verliert komplett den Überblick: Im Jahr 2003 dürften es knapp eintausendfünfhundert Titel gewesen sein. Ein Großteil der Veröffentlichungen sind Neu- und Sonderausgaben - olles Zeug, das zum x-ten Male durchgenudelt wird. Die stehen überhaupt nicht zur Abstimmung: Beim Deutschen Krimi Preis werden nur Erst- und Originalausgaben ausgezeichnet. Hat ein Jury-Mitglied vor dem Blick ins Impressum die Brille nicht ordentlich geputzt, verfällt die vergebene Stimme. Die Anzahl der Bücher, über die überhaupt abgestimmt wird, reduziert sich damit auf weniger als fünfhundert Titel. Schon ein gewaltiger Unterschied zu der von Kritiker Schafft fabulierten fünfstelligen Zahl. So etwas kann man recherchieren, aber das ist schweißtreibender als einfach ein paar billige Behauptungen in die Tastatur zu kloppen.

Ein Einwand wird damit nicht ganz weggefegt: Es erscheinen mehr Krimis, als von den Jurymitgliedern gelesen werden können. Auch das Argument ist wohl so alt wie der Preis selbst (wie war das mit den offenen Türen?) und gilt selbstredend für jeden anderen Preis auch. Glaubt jemand ernsthaft, die Jury der Academy Awards hätte jeden Film gesehen - zumal in der Kategorie "International"? Dass das Kommittee für den Literaturnobelpreis weltweit jeden Schriftsteller kennt und sein Schaffen zu beurteilen vermag? Das Problem stellt sich für jede Auszeichnung in nahezu allen Bereichen der Kunst und Literatur und kann gewiss nicht als treffendes Argument speziell gegen den Deutschen Krimi Preis in Anschlag gebracht werden.

Seit langer Zeit schon gibt es in der Jury des Deutschen Krimi Preises eine Diskussion, ob das Verfahren geändert werden soll. Eine Vorauswahl wurde vorgeschlagen, dann aber wieder verworfen - mit dem triftigen Grund, dass eine Vorauswahl das Problem verlagert, aber nicht löst. Auch diejenigen, die die Vorauswahl treffen, können nicht alle Titel zur Kenntnis nehmen. Ob nun dreißig Juroren über ein paar hundert Krimis abstimmen, oder fünf Juroren aus den Neuerscheinungen vielleicht zehn, zwölf Bücher auswählen, und diese den anderen Mitgliedern zur Endabstimmung vorlegen, gibt sich nichts. Im Gegenteil: Es macht das Verfahren weniger transparent. Kaum auszudenken, welcher Druck auf eine Vor-Jury ausgeübt werden kann. Auch solche Diskussionen innerhalb des Gremiums hätte Schafft recherchieren müssen, wenn er inhaltlich an der Sache interessiert wäre.

Tatsächlich ist das Votum der Jury des Deutschen Krimi Preises nicht immer so eindeutig: Zwischen dem Gewinner und einem Buch, das nicht mal mehr auf die Plätze gelangt, liegen manchmal nur sechs, sieben Punkte - also das Votum von zwei, drei Jury-Mitgliedern. Wer, wie Lars Schafft, daraus den Schluss ziehen will, der Preis sei überflüssig, kann das selbstredend gerne tun. Kein Jurymitglied behauptet, dass dieses Verfahren "den absolut besten (Roman) eines ganzen Jahres" ermitteln könne. Es gibt schlicht kein Verfahren, mit dem der absolut beste Roman zweifelsfrei identifziert werden kann, und kein einziger der Beteiligten des Deutschen Krimi Preises reklamiert diesen Anspruch für die Auszeichnung. Gewiss rutschen in diverse Pressetexten Sätze wie "Zum besten Kriminalroman des Jahres wählte die Jury...", das sind aber in der journalistischen Praxis bewährte Verkürzungen, die mit der Geisteshaltung der Jury rein gar nichts zu tun haben. Selbst die Jury-Mitglieder, die in diesem Jahr für die beiden Gewinner Frau Vargas und Herrn Blettenberg gestimmt haben, würden gewiss nicht behaupten, die beiden Romane seien "absolut" oder "objektiv" die besten. Solch geistesschwache Unterstellungen tragen keine ernstzunemende Kritik, sondern dokumentieren nur, dass der Autor selbst nicht mal in Grundzügen begriffen hat, was Literatur - und Literaturbewertung - eigentlich ist und leisten kann.

Irgendwie passt ins völlig schiefe Bild, dass der renommierteste deutsche Krimikritiker, Thomas Wörtche (mittlerweile ist der Name sogar richtig geschrieben, vorher hieß der arme Mann Wörtcher), "in der internationalen Kategorie erst gar nicht zu Wort kommen durfte". Unbehagen. Wieder Raum für Spekulation. Den Grund zu recherchieren gehört eigentlich zu den Aufgaben des Verfassers, aber da waren wir ja schon: Thomas Wörtche stimmt in der Kategorie "International" deshalb nicht ab, weil er als Herausgeber der metro-Reihe im Unionsverlag selbst für internationale Krimis verantwortlich ist. Der Grund der Stimmenthaltung steht also im krassen Gegensatz zu dem, was Schafft andeutet: Wörtche stimmt in der Kategorie nicht ab, damit der Preis sauber bleibt und gar nicht erst der Verdacht aufkommt, hier wird gemauschelt. Was hätte sich Lars Schafft denn bloß zusammendeliriert, wenn Wörtche in eben jener Kategorie abgestimmt hätte, in der sein Autor Christopher G. Moore gerade den dritten Platz belegt hat? Und was bitte schön soll der törichte Hinweis belegen, die jüngst gekürten Preisträger werden auf keiner der Webpräsenz, die gerade mal fünf Jurymitglieder unterhalten, besonders hervorgehoben? Ist der Preis besser, wenn nur Autoren und Bücher gewinnen, bei denen es bereits ein breites mediales Echo gab? Nur die, die jeder auf der Rechnung hat? Wieder: keine konkrete Aussage, kein Argument.
Unbehagen.
Raum für Spekulation.

Schaffts Text ist ein logisches Inferno, wie man es selbst in den Weiten des Internets nur selten findet. Warum stimmt man als Jurymitglied für den Deutschen Krimi Preis? Weil man hofft, ein Fitzelchen der Aufmerksamkeit des Lesers auf eben jene Titel lenken zu können, die einem in dem Jahr besonders gefallen hat. Ich Argloser! Laut Schafft bin ich als Jury-Mitglied eine Art Darth Vader der Kriminalliteratur. Ich bin schuld daran, dass der Leser jetzt etwas "vor die Füße geworfen (bekommt), was er bitteschön zu verdauen und zu konsumieren hat.". - Soso. Vielleicht mal die Medikamente wechseln? Wieso wird durch das Meinungsbild, das sich aus dem Votum von dreißig Juroren ergibt, jemand zur Lektüre eines Buches gezwungen? Steht Frau Fauser in der Münchner Buchhandlung "Glatteis" mit einem Nudelholz neben dem Vargas-Roman, Herr Koch im Berliner "Hammett" gar mit einer Pumpgun neben den Blettenberg-Büchern? Der Deutsche Krimi Preis rückt für einen kurzen Augenblick einige Titel in den Mittelpunkt des Interesses - ein paar Rezensionen hier, ein Interview oder Porträt dort. Nach der Oscar-Verleihung wird doch auch niemand gegen seinen Willen ins Kino verschleppt...

Ich habe mittlerweile beim Deutschen Krimi Preis sieben, acht mal meine Stimme (direkt bzw. früher als Mitarbeiter einer Krimibuchhandlung indirekt) abgeben dürfen: Nur selten sind meine persönlichen Favoriten auf den Plätzen gelandet. So what? Wenn ich mir die Liste der Preisträger der letzten Jahre anschaue, dann kann ich nur zu einem Schluss gelangen: Der Preis funktioniert, und zwar ausgezeichnet. Der entscheidende Punkt ist: Unter Aufrechterhaltung der Transparenz ist kein Verfahren denkbar, das den Preis irgendwie "objektiver" oder "besser" machen würde. Über Sinn und Unsinn von Preisen im allgemeinen kann man sich trefflich streiten - aber Schafft trägt keinen einzigen Kritikpunkt vor, der speziell für den Deutschen Krimi Preis gilt.

Was der Autor explizit nicht zu sagen wagt, als Subtext aber lange und eindringlich in den Ohren klingelt, ist zweierlei: 1. Warum ist er nicht in der Jury des Deutschen Krimi Preises? - Das hat Lars Schafft mit seinem Artikel nun selbst beantwortet. Und 2. Warum wurden die Autoren nicht prämiert, die Stammgäste auf seiner Krimi-Couch sind? Das, so hofft der Autor, wird der Glauser schon richten - dies' holde Pflänzchen der Transparenz, letzte Fackel der Wahrhaftigkeit!

 

© j.c.schmidt, 2004

 

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