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Das fatale Bruderpaar

Pieke Biermann über »Die Söhne Abrahams« von Robert Littell

 

Die Söhne Abrahams "And so the vicious circle rolls on." So lakonisch zog Robert Littell das Fazit einer Tour zu israelisch-palästinensischen Checkpoints nach der Jerusalemer Buchmesse 2003. Die nächsten zwei Winter verbringt der in Frankreich lebende amerikanische Schriftsteller mit russisch-jüdischen Wurzeln in Israel, um für einen neuen Roman zu recherchieren. Bis heute dreht sich dieser vicious circle, der Teufelskreis aus gefühlter Todfeindschaft zwischen Juden und Arabern, geostrategischen und amerikanisch-innenpolitischen Interessen und der Dynamik, die terroristische Zauberlehrlinge jeder Couleur lostreten.

Vicious Circle - A Novel of Complicity heißt der Roman im Original, bei uns: »Die Söhne Abrahams«. Schade, denn Littells Titel sind immer kleine Ouvertüren und mehrschichtig. Mit vicious circle bezeichnen englische Wortspieler suspekte Seilschaften, "lasterhafte Runden" sozusagen. Und um genau solche insgeheime Komplizenschaft geht es in diesem Roman. Genauer: um die unheilvolle Verklammerung von Paarungen anscheinend extremer Gegensätze und deren fundamentale Ähnlichkeit. Ein palästinensischer Arzt, Dr. Ishmael al-Shaath, in israelischer Haft zum Terroristen "gereift" und Kopf der Abu-Bakr-Brigade, entführt Rabbi Isaac Apfulbaum, in Brooklyn zum Ultraorthodoxen "gereift" und Kopf der jüdischen Terrorzelle Ya'ir in Beit Avram (Abrahams Haus), um palästinensische Häftlinge freizupressen und den Friedensprozess zu torpedieren, was auch Apfulbaum will. Ein israelisches Geheimdienst-Genie wird aus dem Ruhestand geholt und in eine widerliche Kollaboration mit seinem palästinensischen Pendant getrieben. Im fernen Washington notiert Zack Sawyer, Nahost-Sonderbauftragter der US-Präsidentin, das Treiben hinter den Kulissen der ganz hohen Politik: Es ist - endlich - der Vorabend der Unterzeichnung eines Friedensvertrags! Mitten hinein in Dr. Ishmaels Folterhaus gerät Max Sweeney, ein amerikanischer Journalist, der auf Scoops in Sachen Abu Bakr wie Ya'ir hofft. Das Ganze spielt in einer ziemlich nahen Zukunft.

Was Littell aus diesen Plot-Points macht, ist schlafraubend, nicht bloß aus Spannungsgründen. Natürlich stehen Doktor und Rabbi für das fatale Bruderpaar, das Juden und Muslime teilen: Ismael und Isaak, die Söhne Abrahams. Letzterer heißt für Muslime allerdings Ibrahim, und die Vater-Figur gilt nur noch den beiden Patriarchatsfanatikern als höchster Bezugspunkt. Littell hat keine solche Zentralperspektive, und er hat die Bruder-Achse im Visier. Und so lässt er die beiden ausgerechnet als Folterer und Gefolterter ihren Respekt füreinander entdecken. Dass Extremisten sich gut verstehen, ist eine politische Binse. Littell entfaltet, was das heißt, und das tut weh. Die Härte der Folterszenen unter israelischer wie palästinensischer Verantwortung fährt einem ebenso in die Eingeweide wie die Wärme, mit der Littell die Schönheit Jerusalems beschwört. Nachhaltig weh tut die luzide politische Analyse. Robert Littell, der ausgefuchste Osteuropakenner, hatte bisher vor allem den Kalten Krieg als Rohstoff. Hier wagt er eine Operation am offenen Herzen - seinem eigenen. So ein Stoff mag sich jedem Polit-Thriller-Autor von außen aufdrängen, der Nahe Osten gilt vielen als Herz eines lauernden dritten Weltkriegs - für einen jüdischen Autor bedeutet Jerusalem aber auch innerlich Herzblut. Da kommt man der Wirklichkeit nicht mehr - wie in Die kalte Legende - durch geniale Identitätsdekonstruktion bei. Man muss noch einen Schritt weiter riskieren und das Identische im (vermeintlich) Unidentischen aufspüren. Mit dem sarkastischen Twist, angeblich aus der Zukunft zu erzählen. Denn nur in der liegt noch Hoffnung.

 

Robert Littell: Die Söhne Abrahams. (Vicious Circle, 2006). Thriller. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Deutsche Erstausgabe. Frankfurt/M.: Scherz, 2008, gebunden mit Schutzumschlag, 350 S., 17.90 Euro (D)

 

© Pieke Biermann, 2008
(Deutschlandradio, 27.02.2008)

 

Ein Gespräch mit Pierke Biermann über den Littell-Roman finden Sie auf der Internetseite des Deutschlandradios unter http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/745320/ oder gleich hier zum Reinhören (.mp3).

 

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