kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-(Vor-)Auslese 05/2021

 

Tokio, neue Stadt Neues von David Peace! Der englische Autor erregte vor einigen Jahren Aufsehen mit seiner schwer beeindruckenden Yorkshire-Tetralogie ("1974", "1977", "1980" und "1983", auch als "Red-Riding-Quartet" bezeichnet), die sich inhaltlich, aber auch im Sound mit den LA-Quartets von James Ellroy vergleichen lässt. Auf den Yorkshire-Zyklus folgten zwei Noir-Thriller, die in Tokio direkt nach der Kapitulation Japans spielten und ein Bild der Verwüstung der Stadt wie auch ihrer Bewohner zeigten. Nach gut zehn Jahren ist nun endlich mit Tokio, neue Stadt der (vorläufige?) Abschluss der Tokio-Trilogie erschienen (Liebeskind, dt. von Peter Torberg). Wie in all seinen Roman zuvor, hat sich David Peace einen realen Kriminalfall vorgenommen und literarisch verarbeit: Hier geht es um den Präsidenten der Japanischen Eisenbahngesellschaft, der im Juli 1949 - einen Tag, nachdem er die Entlassung von 30.000 Angestellten hat verkünden müssen - spurlos verschwindet. Die Suche leitet Detective Harry Sweeney auf direkten Befehl von General MacArthurs Hauptquartier. Bald wird der verstümmelte Leichnam des Eisenbahn-Präsidenten gefunden: Selbstmord aus Verzweiflung darüber, Abertausend Menschen ins Elend zu stürzen, oder ein Anschlag der Kommunisten?
      Ich oute mich nicht so gern als Fan - aber David Peace hat mich mit seiner hypnotischen Schreibe in all seinen Bücher gewaltig in den Bann geschlagen - dem neuen Roman "Tokio, neue Stadt" fiebern wir entsprechend mit großer Freude entgegen!

 

Der Abstinent Düster geht's weiter in Ian McGuire Der Abstinent. Das Buch fällt schon deshalb auf, weil es eines der ganz wenigen Hardcover ist, die der Verlag dtv auf den Markt bringt (dt. von Jan Schönherr). Die Handlung führt uns nach Manchester zurück ins Jahre 1867, mitten hinein in die Auseinandersetzungen zwischen englischer Polizei und den "Fenians", den irischen Unabhängigkeitskämpfern. Hauptfigur ist der irische Constable James O'Connor, der sich nach einem Schicksalschlag dem Whiskey hingegeben hatte. Mittlerweile ist O'Connar trocken und wurde vor neun Monaten von Dublin, wo er einst als der schlaueste Kopf der ganzen Stadt galt, nach Manchester versetzt. Hier ist er den permanenten Sticheleien und dem Misstrauen der englischen Kollegen ausgesetzt. Und die Lage spitzt sich immer weiter zu: Nach dem Mord an einem Polizisten soll ein Exempel statuiert werden - im Morgengrauen werden drei irische Rebellen gehängt. Doch zur Befriedung trägt die Abschreckungstat nicht bei - die "Fenians" sinnen auf Rache: Manchester versinkt in einem Strudel aus Gewalt und Verrat, aus Rache und Vergeltung. Als Gegenspieler O'Connors entpuppt sich der amerikanische Ire Stephen Doyle, kampferprobter Veteran des US-Bürgerkriegs, der in Manchester einen blutigen Anschlag plant.
      Nach dem historischen Abenteuerroman "Nordwasser" (2016 / dt. 2018), der zu großten Teilen auf einem Walfänger spielt, bearbeitet der britische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Ian McGuire mit "Der Abstinent" wieder einen historischen Stoff. Roddy Doyle lobte McGuires "Abstinent" in der New York Times Book Review und nannte den Autor "einen Dickens für das 21. Jahrhundert". Na holla! Dann mal ran ans schicke Werk!

 

Caravaggios Schatten Bernhard Jaumann ist einer der renommiertesten - und vielseitigsten - deutschsprachigen Krimi-Schriftsteller. Caravaggios Schatten heisst sein neuer Roman (Galiani Berlin), der zweite Fall für Rupert von Schleewitz, Inhaber einer Detektei, die auf Recherchen im Kunstmilieu spezialisiert ist. Es beginnt zu Potsdam - auf dem Schlosse Sanssouci: Rupert von Schleewitz besucht mit seinem alten Schulfreund Alban die dortige Gemäldegalerie, als Alban urplötzlich vor einem Caravaggio-Gemälde ein Messer zieht und auf das Gemälde - "Der ungläubige Thomas" - einsticht. Alban schweigt beharrlich über seine Motive, und die Sache wird noch verdrehter: Auf dem Weg in eine Restaurationswerkstatt wird "Der ungläubige Thomas" gestohlen, die Diebe des berühmten Barockgemäldes fordern ein beachtliches Lösegeld. Es entspinnt sich Katz- und Maus-Spiel um die Abwicklung des Artnappings. Die ruchlose Tat führt von Schleewitz schließlich zurück in seine Jugendzeit - auf das Internat, in dem er sich mit Alban ein Zimmer teilte. "In den Gemälden Caravaggios", so heisst es im Pressetext des Verlages, "prallt der grelle dramatische Moment stets auf ein im Dunkel verborgenes Geheimnis. Auf jene Schatten, in denen Gewissheiten zerfließen.". Das stellen wir als Motto neben das Buch und schauen, wie im Text dramatische Momente und verborgene Geheimnisse aufeinanderprallen. Vielversprechend auch die Referenz an den Apostel Thomas - den Zweifler, der nicht an die Wiederauferstehung Jesu glauben wollte, bis er die Wundmale mit eigenen Händen berührte und so Gewissheit erlangte. Wir sind gespannt!

 

Die Theologie des Wildschweins Die Theologie des Wildschweins heisst der Debüt-Roman des italienischen Autors Gesuino Némus (Eisele Verlag, dt. von Sylvia Spatz), den ich allein schon wegen des wunderbaren Titels (und des schönen Covers mit einem Wildschwein, das scheinbar im Tiefflug durch Raum und Zeit bricht) beschnuppern muss. Schauplatz ist das sardische Bergdorf Telévras im Juli des Jahres 1969, in dem ein Bewohner ermordet aufgefunden wird. In dem Fall ermittelt der Maresciallo De Stefani. Der Carabiniere ist Piemonteser und versucht als Frischling in der verschworenen Dorf-Gemeinschaft, die ungeschriebenen Gesetze zu verstehen und die gut gehüteten Geheimnisse zu durchdringen. Doch hoffentlich nicht noch ein unsäglicher Urlaubs-Krimi? - Eher nicht: "Ein originell und vielstimmig erzählter Krimi voller sardischer Gerüche, Geschmäcker und üppigem Lokalkolorit", so verspricht der Verlag, "der ein traditionelles Sardinien an der Schwelle zur Moderne zeigt und mit Humor und Ironie seinen skurrilen Bewohnern ein Denkmal setzt.". Cool! Gibt's eigentlich einen "Asterix auf Sardinien"? Ach, egal.

 

Heute stirbt hier Kainer Sichtbar viel Spaß hatten die Macher der Film-Komödie "Heute stirbt hier Kainer", die Sie in der ARD-Mediathek finden. Der Film erzählt die Geschichte des miesepetrigen Ulrich Kainer (Martin Wuttke), der, final an einen Gehirntumor erkrankt, zu einer letzten Reise aufbricht: Mit einer Pistole, die mit einer einzigen Kugel geladen ist, landet der todkranke Mann in dem hessischen Dorf Oberöhde, wo er beabsichtigt, sich ein selbstbestimmtes Ende zu setzen. Doch auch tief in der Provinz kommt der beklagenswerte Mann nicht zur Ruhe, sondern gerät in einen völlig durchgeknallten Mix aus dörflichen Ränken um ein Lokal, einen italienischen Wirt mit vermeintlicher Mafia-Connection, liebesbedürftigen Frauen, Thomas Mann lesenden Land-Nazis und einem Ekelpaket von Cop (Justus von Dohnányi). Das ganze kulminiert in einer Ballerei wie bei Quentin Tarantino, allerdings mit öffentlich-rechtlichem Etat. Das ist kurzweilige Unterhaltung von Maria-Anna Westholzer (Drehbuch und Regie) und Michael Proehl (Drehbuch), wobei an manchen Stellen weniger mehr gewesen wäre - da hatten die Macher wohl mehr Spaß als die Zuschauer.

 

Viele weitere Anregungen finden Sie in den Neuerscheinungen Mai 2021.

 

© j.c.schmidt, 2021

 

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