kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-Auslese 02/2002

 

Siggi Baumeister oder Eine Verfolgung quer durch die Eifel Ein beachtliches Projekt startete der kleine NordPark-Verlag in Wuppertal: Krimi-Kritik heißt eine feine Reihe, deren erster Band jetzt erschienen ist: »Siggi Baumeister oder eine Verfolgung quer durch die Eifel« ist dem Werk - und dem Leben - Michael Preutes alias Jacques Berndorf gewidmet. Berndorf ist mit einer Gesamtauflage von über einer Millionen Exemplaren einer der gegenwärtig erfolgreichsten deutschen Krimiautoren.

Berndorf-Kenner (und Freund) Alwin Ixfeld führt in einem Beitrag ein in das brüchige Leben Preutes, der als Journalist für die unterschiedlichsten Zeitungen und Magazine arbeitete - bis er seinem Chefredakteur in der Quick eins auf die Nase kofferte, weil dieser ihn Ende der Sechziger Jahre im tschechischen Polizeigewahrsam versauern ließ. Als freier Journalist bereiste er die schaurigsten Krisen- und Kriegsgebiete der Welt - Bogota, Beirut, Tel Aviv oder auch Saigon. Er trank, arbeitete und schrieb sich den Frust von der Seele. Anfang der Siebziger Jahre erschienen binnen kurzem vier Romane, auf denen sein Name prangte, der Stern brachte zwei seiner Manuskripte in Fortsetzung. Auch mit Sachbüchern reüssierte Preute, über Elvis Presley z.B., und eins über das Leben Hermann Schmitts, Leiter der Münchner Mordkommission, den Preute zwei Jahre lang begleitete (das Vorbild für die Polizisten-Figur Rodenstock, die in seinen späteren Romanen auftaucht).

Recherchen zum geheimen Regierungsbunker, von dem aus die Bundesrepublik im Falle eines Atomschlags geführt werden sollte, brachten Michael Preute schließlich in die Eifel - jene Region Deutschlands, die er in seinen bekannten Eifel-Krimis beschreibt. Die Serie erscheint seit 1989 und machte das Pseudonym Jacques Berndorf zu einem erfolgreichen Markennamen: Berndorf ist der wohl profilierteste Vertreter des deutschen Regionalkrimis.

Im Dezember letzten Jahres erschien mit »Eifel-Täter« Berndorfs zehnter Krimi um den Journalisten Siggi Baumeister. Gisela Lehmer-Kerkloh stellt die einzelnen Bände der Serie vor und gibt darüber hinaus einen Überblick über die anderen kriminellen Werke Preutes. Vom Umfang den größten Teil des ersten Bandes der Krimi-Kritik nimmt die Bibliographie ein, die Thomas Przybilka mit der für ihn üblichen Akribie besorgte. Euphemistisch mit "Auswahlbibliographie" überschrieben, würde es überraschen, wenn er auch nur die kleinste Ankündigung einer Autoren-Lesung übersehen hätte. Thomas Przybilka hat nicht nur alle erdenklichen Printmedien ausgewertet, sondern auch Funk- und Internetbeiträge zusammengetragen, in denen der Autor Erwähnung findet. Sauber gegliedert nach allgemeinen Informationen und Besprechungen der einzelnen Romane.

Der Preute-Berndorf-Band der Wuppertaler Krimi-Kritik ist ein verheißungsvoller Auftakt zu einer interessanten Reihe, auf deren weiteren Verlauf wir gespannt sind. Die - namensgebende - Kritik allerdings kommt zu kurz: Die Würdigung Preutes/Berndorfs begrenzt sich darauf, dass die Autoren seine Beliebtheit beim Publikum und die Auflagenstärke der Bücher herausstreichen, eine Auseinandersetzung mit seiner Schreibe über den Inhalt hinaus findet nicht statt.

"Sleughts" könnte man noch korrigieren.

Thomas Przybilka mit Gisela Lehmer-Kerkloh und Alwin Ixfeld: Siggi Baumeister oder Eine Verfolgung quer durch die Eifel. Die Eifel-Krimis des Jacques Berndorf. Wuppertal: NordPark, 2001 (Krimi-Kritik Bd. 1), 82 S., 10.50 Euro (D)
(Der Titel erscheint als Book-On-Demand, beziehen kann man das Buch etwa über libri.de und amazon.de oder auch direkt über den NordPark-Verlag unter http://www.nordpark.de)

 

Die Rosenbowle Elke Loewe hat einen Roman geschrieben über Menschen die "ständig Ordnung in ihrem Garten" schaffen. »Die Rosenbowle«, so der Titel des Buches, kommt daher wie eine Persiflage auf die Landhaus-Krimis à la Agatha Christie, nur dass die Autorin die Handlung von der englischen in die norddeutsche Provinz verlegt - in "Erlkönigs Land".

Die Münchnerin Valerie Bloom fährt zu ihrer Tante Roberta "Robbie" Bloom nach Augustenfleth an der Elbmündung, um sechs Wochen der Tante Bauernkate einzuhüten. Die Zeit in der provinziellen Abgeschiedenheit möchte Valerie zum Schreiben nutzen: Ein Reiseroman steht der jungen, liebeskummrigen Frau im Sinn - sie will sich ihren Ex-Lover Tom "aus dem Herzen schreiben" und strebt gleichzeitig nach Größerem:

"Sie müsste natürlich auch das Telefon abstellen, nichts sollte ihre Konzentration stören, und nach sechs Wochen in Tante Robbies Bauernkate hinter dem Deich würde sie mit vollen Dateien nach München zurückkehren und sich erheben aus dem Meer der Namenlosen."

Doch der Konzentration aufs Literarische wird gleich bei der Ankunft in Augustenfleth ein abruptes Ende gesetzt: Tante Robbie sitzt mausetot im Sessel ihres Gartenhauses. Neben der Leiche entdeckt Valerie drei benutzte Gläschen, die mysteriöserweise später verschwinden. Zunächst verzagt und ängstlich, dann - nach einem kurzen Abstecher zurück nach München - zunehmend beherzter, beginnt Valerie Fragen zu stellen und dringt immer tiefer ein in die bizarre Gemeinschaft und Geschichte der Augustenflether. Tante Robbies vermeintlich harmloses Hobby - das Sammeln und Züchten der Rosen-Sorten, die Karl der Große in seiner Capitulare im 9. Jahrhundert erwähnte - kristallisiert sich bald als eine Betätigung heraus, die tödliche Begehrlichkeiten weckt.

Elke Loewe, die bisher vornehmlich fürs Fernsehen arbeitete, hat ihr Romandebüt mit feiner Feder absolviert; sie schreibt auf gutem Niveau und hat stilistischen Witz. Auch ihre Hauptfigur gewinnt unsere distanzierte Sympathie. Der Roman allerdings ist nicht mehr als ein Gesellenstück, denn Loewes Material ist schlicht zu dünn. Olle closed community mysteries will niemand mehr lesen, auch nicht in persiflierter Form. Mehr Stoff, etwas frecher und beherzt ans nächste Werk - dann erhebt sich auch Elke Loewe aus dem "Meer der Namenlosen".

Vom Besuch norddeutscher Gasthäuser raten wir ab: Valerie und ihr Begleiter bestellen in der örtlichen Pinte "'Matjes mit Bratkartoffeln (...) und einen kleinen Salat'". Ein paar Absätze weiter serviert die flinke Bedienung "Bratkartoffeln und Krabben mit Rührei und Schwarzbrot und Butter".
Naja.

Elke Loewe: Die Rosenbowle. Roman. Originalausgabe. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2002, 249 S., 8.90 Euro (D)

 

Im Schutz der Dunkelheit In den Bestsellerlisten finden sich nur selten Titel aus dem Bereich Krimi und Thriller, die weniger als fünfhundert Seiten umfassen. Ein schlankeres Werk, das ist wie ein Hollywoodfilm ohne Special-Effects.
Das ist Low Budget.
Das Auge fest aufs Bestsellermaß gerichtet hat James Grippando mit seinem jüngsten Roman »Im Schutz der Dunkelheit« - eine gut fünhundertseitige Schwarte, an der er sich verhoben hat.

Star-Anwalt Gus Wheatley - nicht Wheatly, wie es im Ullstein-Covertext heißt - lebt ausschließlich für seinen Beruf. Der Advokat kann sich kaum an seinen Hochzeitstag erinnern, und so wundert es auch nicht, dass er nichts von den schweren psychischen Problemen seiner Frau Beth ahnt: Er weiß nicht, dass Beth Kleptomanin ist, er ahnt nichts von ihrer Bulimie, er hat keinen Schimmer, dass sie sich seit Monaten von all ihren Bekannten zurückgezogen hat. Wahrscheinlich hätte er auch nie davon erfahren, wenn seine Frau nicht plötzlich verschwunden wäre, und er sich jetzt mit ihrem Leben auseinandersetzen müsste.

In der Nacht nach Wheatleys Vermisstenanzeige findet die Polizei in Seattle eine Frauenleiche, die Beth sehr ähnlich sieht, doch von Gus nicht als seine Frau identifiziert wird. Das Mordwerkzeug - ein gelbes Plastikband, mit der die Frau erwürgt wurde - und die zahlreichen Stichwunden, die dem Opfer nach ihrem Tod zugefügt wurden, machen den Zusammenhang mit zwei weiteren Mordfällen deutlich, die jüngst Seattle erschüttert hatten: Zwei Männer waren jeweils in ihrem Haus mit einem gelben Plastikband erwürgt worden, der Mörder hatte auf die bereits leblosen Opfer noch ungezählte Male eingestochen.

Die männlichen Mordopfer glichen sich nicht nur äußerlich wie Zwillingsbrüder, sondern hatten bis hin zur Automarke viele Dinge gemein. Schnell stellen die Cops fest, dass es im Leben des weiblichen Mordopfers beängstigend viele Parallelen zu der vermissten Beth Wheatley gibt. Special-Agentin Andie Henning vom FBI steht vor einem Rätsel: Geht in Seattle ein Serienmörder um, der "paarweise" meuchelt? Ist Beth Wheatley das nächste Opfer - das Gegenstück zur jüngst entdeckten Frauenleiche?

Ein wortloser Anruf im Hause der Wheatleys, der eindeutig von Beth stammt, lockt die ermittelnden Cops zu einer Telefonzelle außerhalb der Stadt - und zum schaurigen Fundort einer weiteren Frauenleiche. Wiederum weist das Opfer außergewöhnliche Ähnlichkeiten mit der verschwundenen Anwaltsgattin auf. In der Telefonzelle stellen die Cops Beths Fingerabdrücke sicher. Agentin Henning muss jetzt in zwei unterschiedliche Richtungen ermitteln: Entweder hat ein Serienmörder Beth in seiner Gewalt und demonstriert ihr an seinen bisherigen Opfern, was er ihr anzutun gedenkt, oder die labile Frau mit jahrelanger Tendenz zur Selbstzerstörung zieht mit einem Komplizen Richtung Süden - und mordet sich selbst in anderen Frauen, die ihr ähneln...

Erfreulicherweise weicht Grippando einigen gattungsbedingten Sprengfallen aus, in die man ihn am Anfang der Lektüre treuherzig reinzustolpern wähnte: »Im Schutz der Dunkelheit«, das dürfen wir vorwegnehmen, gehört nur bedingt ins Subgenre "Serienkiller-Roman". Doch Spannung will in diesem Thriller nicht aufkommen. Grippandos Figuren sind so oberflächlich gezeichnet, als stammten sie aus einem Versandhaus-Katalog für Thriller-Autoren. Warum nur dichtet er seiner Figur Andie Henning eine halb-indianische Indentität an, wenn er diese nicht fruchtbar macht?

'"Ich wünschte nur, dass nicht erst deine Mutter hätte verschwinden müssen, damit dein Vater aufwacht.'", beichtet Gus Wheatley seinem Töchterchen Morgan. Um seinen Protagonisten zu dieser faden und wenig rührenden Selbsterkenntnis zu führen, braucht Grippando knapp die Hälfte seines Romans. Den zweiten Teil hingegen spickt er mit so vielen Twists und Turns, dass man kaum noch folgen kann: Ich schnitz' mir pro Leiche keine Kerbe in den Bleistift, komme beim bodycount aber auf eine andere Summe als Grippando und seine Roman-Figuren.

Ein Drittel gekürzt und es wäre ein guter Thriller entstanden. Das sieht vielleicht nach Low Budget aus, ist aber allemal besser zu genießen.

James Grippando: Im Schutz der Dunkelheit. (Under Cover of Darkness, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Norbert Möllemann. Deutsche Erstausgabe. München: Ullstein Taschenbuchverlag, 2002, 512 S., 8.95 Euro (D)

 

Heidengeld Pater Terry Dunn erinnert in seiner Erscheinung eher an einen Rockmusiker als an einen Gottesmann. Er unterhält sich lieber mit Johnnie Walker als mit seinem Bischof, er treibt Unzucht mit einer verkrüppelten Tutsi-Frau und liest die Messe nur an Ostern, Weihnachten und den ganz seltenen Tagen, an denen es ihm in den Kram passt.
Was macht so ein Mann seit fünf Jahren in Ruanda?

"Er verteilte Kleidung, die ihm sein Bruder schickte, er nahm die Beichte ab, wenn ihm danach zumute war, hörte zu, wenn sich die Leute über ihr Leben beschwerten, wenn sie das Auslöschen ihrer Familien beklagten. Er spielte mit den Kindern, fotografierte sie und las ihnen aus Büchern eines gewissen Dr. Seuss vor. Doch die meiste Zeit (...) saß er mit seinem Freund Mr. Walker hier auf seinem Hügel."

Der Kiffer in Kutte ist natürlich nicht die jüngste Waffe der katholischen Kirche im Kampf um bessere Sympathiewerte - Pater Terry Dunn ist die Hauptfigur in Elmore Leonards jüngstem Gaunerstück "Heidengeld".
Und das hat's wieder mal in sich.

Den schrecklichen Genozid der Hutus an den Tutsis in Ruanda erlebte der unkonventionelle Priester unmittelbar: Während er die Messe las, drangen die Schlächter mit ihren Macheten und ihren masus, mit Nägeln gespickte Keulen, in seine Kirche und erschlugen die Tutsis, die sich in das Gotteshaus geflüchtet hatten. Noch heute stapeln sich die zerstümmelten Leichen in seiner kleinen heiligen Stätte - als Mahnung an die Vergangenheit und als Warnung davor, was jeder Zeit wieder geschehen könnte. Denn immer noch zieht der Hutu-Mob durch die Gegend und prahlt öffentlich und ungeniert mit seinen schaurigen Taten.

Terrys Lebensmotto lautet: "Bewahre heitere Gelassenheit. Wenn du mit etwas fertig werden kannst, tu's. Wenn nicht - scheiß drauf.". Doch nach einem Zwischenfall, bei dem der Gottesmann wenig Sinn für stoische Ruhe und noch weniger von der christlichen Tugend der Vergebung offenbart ("Ruhet in Frieden, ihr Dreckskerle"), begibt sich Terry Dunn von Zentralafrika nach Detroit, seiner alten Heimatstadt im kalten Norden der USA: Fotos kleiner schwarzer Waisenkinder, so sein Kalkül, öffnen nicht nur das Herz, sondern auch die Börse. Terrys Bruder Fran, ein erfolgreicher Anwalt mit guten Beziehungen zu den religiösen Würdenträgern der Stadt, soll die Kontakte für Terrys barmherzige Spendensammlung herstellen.

Gerade angekommen, lernt Terry Debbie Dewey kennen, die früher für seinen Bruder Fran Ermittlungen durchführte. Debbie hat eine dreijährige Haftstrafe in Florida verbüßt: Sie hatte zufällig ihren Ex-Mann Randy auf der Straße getroffen - mit einem Ford Escort. Quell des Zorns der jungen Frau sind 67.000 Dollar, um die ihr Ex sie geprellt hatte. Randy ist mittlerweile Besitzer eines erlauchten Restaurants in Detroit, und der "Luftnummer" das veruntreute Kapital wieder aus der Tasche zu leiern, sollte Terry und Debbie nicht schwer fallen. Dass sich das Gauner-Pärchen dabei gleich mit der gesamten Mafia Detroits anlegt, ist nicht unbedingt geplant, eröffnet aber ganz neue Perspektiven...

Elmore Leonard ist der unangefochtene "King of Cool". Seine Romane handeln von höchst sympathischen Zeitgenossen mit einer erfreulichen Integrität, die sie zwangsläufig immer wieder mit der Legalität kollidieren lässt. Bis in die kleinsten Nebenfiguren hat Leonard wieder ein grandioses Team zusammengestellt - von den beiden Hauptfiguren bis zu den deppigen Hillbillys, die zu Auftragskillern mutieren und sich erst darüber verständigen müssen, wie so ein Job funktioniert. Einen solchen Schwachsinn so lebensecht und fröhlich aufzubereiten, das kann nur Elmore Leonard.

»Heidengeld« ist nicht der beste seiner ungezählten Romane, denn der Plot ist nicht so stark, wie von Leonard gewöhnt. Dennoch - seine tiefsinnigen Gauner-Komödien (wie seine anderen Romane auch) sind Perlen zeitgenössischer Erzählkunst. Man würde Elmore Leonard endlich die Weihen des offiziellen Literaturbetriebs wünschen, die ihm schon lange gebühren - etwa den Pulitzer-Preis.

Elmore Leonard: Heidengeld. (Pagan Babies, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Deutsche Erstausgabe. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2002, 284 S., 8.50 Euro (D)

 

Alles in einer Nacht Wichita in Kansas liegt ziemlich genau in der Mitte der USA. Zur kanadischen Grenze ist es ungefähr soweit wie zur mexikanischen, der Atlantik ist nicht entscheidend näher als der Pazifik. Wichita, Kansas, ist gewissermaßen das Herz Amerikas - das dunkle Herz Amerikas, folgt man Scott Phillips und seinem Roman »Alles in einer Nacht«.

Phillips erzählt von Charlie Arglist, einem Anwalt, der sich am Heiligen Abend 1979 ("Gottes Geburtstag") auf einer einsamen Sauftour durch seine Heimatstadt befindet. Es wird seine letzte Nacht in Wichita sein, so erfährt der Leser zunächst vage, und Charlie sucht noch einmal die Orte auf, die ihm etwas bedeuteten: Striplokale, heruntergekommene Table-Dance-Schuppen und miese Bars. Charlie muss noch ein paar Stunden totschlagen - er hängt ab in seinen Lieblingskneipen, er säuft, kokst, trifft auf Stripperinnen und alte Kumpel. Menschen, die nicht wissen, wo sie in der Weihnachtsnacht hin sollen.

Charlie Arglist hat seine Frau und seine Kinder verlassen, weil es bequemer ist, allein zu leben. Er hat seine Anwalts-Kanzlei aufgegeben, weil es bequemer ist, ausschließlich als rechte Hand eines zwielichtigen Striplokal-Besitzers zu arbeiten. Und Charlie Arglist hat sich in illegale Machenschaften eingelassen, weil es bequemer ist, eine Abkürzung auf dem Weg zu seinen persönlichen Amerikanischen Traum zu nehmen.

Scott Phillips' Wichita ist eine völlig verkommene community, in der sich das Verhältnis der Menschen zueinander über Betrug, Erpressung und Schlägereien definiert. Und über Mord. "'Fröhliche Scheiß-Weihnachten!'" - das Fest der Liebe überhaupt ist der geeignete Zeitpunkt, um alle erdenklichen Brutalitäten auszutauschen, wahlweise bei Truthahn und Preiselbeeren oder Mojitos und Bourbon.

»Alles in einer Nacht« ist ein rundherum erfreulicher Debüt-Roman. Phillips Geschichte enthüllt sich dem Leser Stück für Stück, von Ort zu Ort, zu denen wir Charlie während seiner letzten Nacht in der Wichita begleiten. Die Story ist dreckig wie der Schneematsch in den Straßen, sie treibt sich selbst voran und nimmt bis zum blutigen Ende immer mehr Tempo auf. Charlie Arglist in seiner "trunkenen Würde" ist eine einprägsame Figur - gerade weil sie nicht zur Identifizierung einlädt (wie kein Charakter des Buches). In seiner letzten, bitterkalten Nacht in Wichita gibt es einen Ort, an den er zwischen seinen Gelagen immer wieder landen wird - das "Sweet Cage", Charlies Schicksalsort.
Noir vom allerfeinsten.

Scott Phillips: Alles in einer Nacht. (The Ice Harvest, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Karl-Heinz Ebnet. Deutsche Erstausgabe. München: Knaur, 2001, 256 S., 7.90 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2002

 

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