kaliber .38 - krimis im internet

 

Krimi-Auslese 01/2004

 

Der sechste Passagier Eine Polizistin sitzt unter einer Eiche und masturbiert. Das ist schön. Leider wird das Vergnügen der Beamtin getrübt, denn nur ein paar Steinwürfe entfernt stürzt eine Propellermaschine in einen See. Die Polizistin lässt ihre letzten wohligen Schauer verklingen, trinkt einenKaffee und macht sich ans Ermittler-Handwerk. So, kaum verkürzt, lautet der Auftakt zum Roman »Der sechste Passagier« des griechischstämmigen Schweden Theodor Kallifitides.

Wem nach ein paar Seiten schon Schlimmes schwant, wird eines Schlechteren belehrt: Als hätte Helge Schneider eine Persiflage auf einen Schweden-Krimi verfasst, deliriert sich Kallifatides durch seinen Roman, der stilistisch etwa auf dem Niveau einer Leichtlesefibel beginnt. Warum nur erteilt der Autor seinen Figuren Redeverbot? Direkte Rede findet sich im ersten Teil kaum, Dialoge gar nicht. Dafür quält er seine Figuren mit schwachsinnigen Überlegungen: Die Polizistin mit Hang zur frivolen Freizeitgestaltung sinniert rund einhundertfünzig Seiten lang, ob sie zwischen drei Todesfällen mit auffallend ähnlichen Merkmalen überhaupt einen Zusammenhang herstellen darf:

"Drei Tote, die vermutlich gleicher Herkunft waren, im Laufe einer Woche: Das war zuviel, um es als Zufall abzutun. Und doch wußte Kristina, daß die Versuchung, Zusammenhänge herzustellen, zu den größten Schwächen des Menschen gehört. Es fällt ihm schwer, den Zufall zu akzeptieren, obwohl er das wahrscheinlichste ist. Das Problem ist, daß der Zufall keinen Sinn hat, deshalb ist er unbegreiflich. Etwas zu verstehen heißt ja, einen Sinn darin zu sehen. Sie war also auf der Hut."

Gewiss sähe sich Kallifatides gerne dem Verdacht ausgesetzt, er habe einen philosophischen Roman geschrieben - das kann man ihm bei der trostlosen Banalität des Textes aber nicht durchgehen lassen.
Der Fairness halber: Das Buch wird nicht gut, später jedoch stilistisch besser: Dann klingt es nicht mehr ganz nach Diktaphon, sondern ein bißchen nach Schreibmaschine.

Theodor Kallifatides: Der sechste Passagier. (Den sjätte passageraren, 2002). Roman. Aus dem Schwedischen von Kristina Maidt-Zinke. Deutsche Erstausgabe. Wien: Zsolnay, 2004, gebunden, 288 S., 19.90 Euro (D)

 

Falsche Opfer Nicht unter jedem Deckel, auf dem das Label "Schwedenkrimi" prangt, verbirgt sich lahme Altherrenprosa. Einen quietschlebendigen Kriminalroman hat Arne Dahl geschrieben - »Falsche Opfer« heißt das herrlich verschrobene Buch für aufgeweckte Leser. Dahl fesselt sein Publikum mit Chuzpe und sprachlichem Witz: Vom "neutralen" Hultin (feiner running gag) über "Party-Ragge" bis zum "Goldgekrönten" begegnet der Leser einem Panoptikum an seltsamen Figuren (und diejenigen, die die vorherigen Dahl-Romane »Misterioso« oder »Böses Blut« kennen, einigen alten Bekannten). Dahls Story ist höchst ausgeklügelt; wer zwischenzeitlich befürchtet, bei den Personen eins bis fünf der Gruppen A und B den Boden zu verlieren, möge nicht gleich in Tränen ausbrechen: Alles wird gut! Versprochen!

Arne Dahl: Falsche Opfer. (Upp till toppen av berget, 2000). Kriminalroman. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Deutsche Erstausgabe. München: Piper Original, 2004, 387 S., 14.00 Euro (D).

 

Kein Sterbenswort Auf sicherem Terrain bewegt sich der Leser mit Harlan Cobens neuem Roman »Kein Sterbenswort«. Coben ist ein Meister der Exposition: Nach dreißig, vierzig Seiten hat er seinen Leser fest an der Angel - ein geschickter Twist hier, eine kleine Andeutung da, und verflucht!, man will's einfach wissen. Neu ist die Story nicht: Der Arzt David Beck trauert seit acht Jahren um seine Frau Elizabeth, die - so ergaben damals die Ermittlungen - Opfer des Serienmörders KillRoy wurde. Nach langer, quälender Zeit der Selbstzerfleischung erhält der Doktor plötzlich E-Mails mit vertraulichen Bezügen, die außer ihm und seiner verstorbenen Frau keiner gekannt haben konnte. Sogar auf den Bildern einer Webcam glaubt David, seine Elizabeth zu erkennen. Hin- und hergerissen zwischen banger Hoffnung und der tristen Überzeugung, es könne sich nur um einen üblen Scherz handeln, stochert er selbst noch einmal in dem alten Mordfall rum - und macht sich damit verdächtig bei den Ermittlern des FBI, die die Akte wegen eines aktuellen Leichenfunds erneut geöffnet haben.

Harlan Coben spult sein Programm hochprofessionell runter und packt den Leser mit einer geschliffen konstruierten Krimi-Story und einer überzeugenden Psychologie der Figuren. Trotz fesselnder Thriller-Elemente vergisst Coben nicht, dass er von einer Tragödie berichtet: "Der Tod ist (...) ein großer Lehrmeister", heißt es in dem Buch, aber "viel zu streng.".

Fein gemachter Stoff mit einer schlüssigen, wenngleich nicht ganz überraschenden Lösung.

Harlan Coben: Kein Sterbenswort. (Tell No One, 2001). Roman. Aus dem Amerikanischen von Gunnar Kwisinski. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2004 (1. Aufl. - Rheda-Wiedenbrück: Bertelsmann Club, 2002), 350 S., 8.90 Euro (D)

 

Roter Schatten T. Jefferson Parker gehört zu den US-Krimi-Autoren, die schon mit einigen bedeutenden Preisen bedacht wurden, aber in der Publikumsgunst noch nicht ganz nach vorne gekommen sind. »Roter Schatten« heißt der Roman, der jüngst bei Ullstein in deutscher Übersetzung erschienen ist. Parker erzählt von der Polizistin Merci Rayborn aus dem kalifornischen Orange County, die den Mord an der jungen Prostituierten Aubrey Whittaker aufklären muss. Ins Fadenkreuz gerät ihr Kollege (und Lover) Mike McNally, weil er eine undurchsichtige Beziehung zur Dame aus dem rotlichtigen Milieu unterhielt. Doch ist Seargeant Rayborn auf der richtigen Spur oder nur das Werkzeug einer infamen Inszenierung?

Zeitgleich muss sich die Ermittlerin noch mit einem "kalten Fall" befassen - ebenfalls einem Mord an einem Callgirl, der bereits im Jahre 1969 geschah. Der Trick mit der historischen Spiegelung ist simpel, funktioniert aber prächtig: Parker trägt die Vorkommnisse nicht vor wie abstrakte Daten aus dem Geschichtsbuch, sondern bindet sie geschickt in den Erzählfluss ein. Merci Rayborns Ermittlungen in beiden Fällen werden zu einer bitteren Abrechnung mit ihrem eigenen Department - einem Sumpf aus rechter Gesinnung, Korruption und schmierigem Karrieristentum. Von dem Dreck, den die Polizistin aufwirbelt, bleibt nicht einmal ihre eigene Familie verschont.

»Rote Schatten« ist ein atmosphärisch dichter Roman. Sein schriftstellerisches Talent belegt Parker etwa mit einem feinfühligen Strang über einen Polizisten, dessen Frau an einem Gehirntumor leidet. Darüber hinaus berührt der Roman aber selten, weil Parker zu statisch erzählt: Über weite Strecken wird zuviel geredet und zuviel gedacht, aber zuwenig gehandelt. Nicht der ganz große Wurf, aber lesenswert.

T. Jefferson Parker: Rote Schatten. (Red Light, 2000). Roman. Aus dem Amerikanischen von Norbert Möllemann. Deutsche Erstausgabe. München: Ullstein Taschenbuch Verlag, 2004, 478 S., 13.00 Euro (D)

 

© j.c.schmidt, 2004

 

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