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Kannibale und Liebe

 

 Hannibal Sieben Jahre nach seinem grandiosen getaway in "Das Schweigen der Lämmer" sitzt Dr. Hannibal Lecter in Florenz und hat seine Ruhe. Er heißt jetzt Dr. Fell, wohnt und arbeitet als Kurator in einem Palazzo bei großzügigem Kerzenschein, spielt Goldberg-Variationen und brilliert im Kreise nobler Professorenkollegen über Dante Allighieri. - Nicht so Special Agent Clarice Starling, die bei einem komplett sinnlosen Gemetzel zwar überlebt, jedoch irgendwie geopfert werden muss in den Querelen zwischen den good old boys in Justizministerium und Tochterfirma FBI. Weil es Clarice so schlecht geht, schreibt Hannibal ihr ein Briefchen zum Trost, und auch sonst kommt Bewegung ins Stück. Erstens erkennt ein florentinischer Kriminalist unseren Hannibal, zweitens hat sich ein frühes Opfer desselben, der Fleischkonservenmagnat Mason Verger verschworen, sich seinen Peiniger von einst zu holen, dass ihn die Schweine fressen. Buchstäblich.

Verger selbst ist das Schwein par excellence. Kinderquäler, Sadist, Schänder seiner kleinen Schwester schon in jungen Jahren. Er kauft für sein Geld alles und jeden, nicht zuletzt Clarice Starlings schlimmsten Feind bei der Behörde, Paul Krendler, der ihre Karriere nur ruinieren will, weil sie ihn mal nicht rangelassen hat. - Richtig Spaß hat Verger an all dem nicht, schließlich hat Hannibal Lecter damals ganze Arbeit geleistet: Der Mann hat kein Gesicht mehr, Hunde fraßen es auf. Er ist gelähmt vom Kopf abwärts, denn Dr. Lecter brach ihm den Hals. Rache ist Blutwurst, und so liegt Verger da in seinem Hi-tech-Bett, Körperfunktionen und Sprache vom Apparaten gesteuert und kontrolliert sein Projekt auf einem großen Monitor. Ein Auge hat er noch.

Was das Böse in der italienischen Abteilung des Romans betrifft, ist ein Signore Pazzi die treibende Kraft. Kriminalpolizist in der ehrwürdigen Questura zu Florenz, Fachmann für Serienmörder und Nachkomme einer seit dem frühen Mittelalter ortsansässigen Familie von habgierigen Verrätern. Er also ist es, der Dr. Lecter erkennt, seine Identität verifiziert und ins Grübeln kommt. Seine Karriere könnte einen solchen Erfolg zwar gut gebrauchen, aber was wäre ein Pazzi, wenn er nicht an Verrat dächte. Dafür gibt es einen Riesenbatzen von Mr. Verger und scheiß was auf die Karriere, wenn er sich erst mit seiner holden Gattin auf und davon gemacht hat zu den Stränden der Welt, wo die Reichen und Schönen sind.

Haben wir sie also alle beisammen, die Guten und die Bösen der ersten Reihe. Naja, Mason Vergers Schwester Margot vielleicht noch, die immer noch an ihres Bruders Seite ist und ihm eigennützig hilft, und eine Bande von sardischen Menschenräubern, Mördern und Schweine-Experten, Geschäftsfreunde von Mr. Verger.

Haben wir sie also beisammen. Thomas Harris' wohl letzter Band der Hannibal-Lecter-Trilogie liegt als deutsche Taschenbuchausgabe vor, und das ist keine fiese fette Schlachteplatte aus der Garküche zwei Ecken weiter. Das ist feinstes Blutbad, geradezu elegant geschrieben und komponiert, zubereitet wie die exquisiten Menüs des Dr. Lecter, den wir ganz friedlich vorfinden, des Mordes unlustig und auf dem Höhepunkt seiner Genialität. Dessen gelebtes refinement den sterblichen Wurstesser ebenso neiden lässt wie schier unerschöpfliche finanzielle Ressourcen.

So viel Frieden soll nicht sein. Die sardischen Mietlinge des Fleischkönigs wollen Lecter in Florenz fangen und der zeigt, was er noch alles kann. Bei seinem Verräter Pazzi bedankt er sich nach Art der Väter desselben. Lecter delinquiert an Feinden und anderen Opfern, die es wohl nicht anders verdient haben, und das macht den Roman so unheimlich wie problematisch, denn hier treten zwei Monster gegeneinander an und die Sympathien hat Hannibal: Er bekommt von seinem Schöpfer eine Kindheit samt kleiner Schwester nachgereicht, die fast verstehen lässt, warum er tut was er tut.

In Florenz ist seines Bleibens nun nicht mehr und wir flüchten mit ihm in die USA zurück, wo er in kürzester Zeit eine neue Heimat findet für all die finesse zwischen Trüffeln und Wein zu 200 Dollar die Flasche. Geburtsjahrgang Starling, erfahren wir, denn Dr. Lecter plant ein Geschenk...

Fazit? Wer John Irving vorwirft, er verlasse sich zu sehr auf den Zufall, wird Thomas Harris vorwerfen müssen, er verlasse sich zu sehr auf die Konstruktion. Beide sind große Erfinder grotesker Geschichten. Das Buch ist ideal für italophile Bildungsspießer, die lange keinen ordentlichen Blutroman mehr gelesen haben. Manch anderem Krimifan wird's vielleicht zuviel Kultur. Harris' Rechercheleistung ist beachtlich. Seine Schilderung der wilden Schweine ist ebenso kompetent wie zärtlich.

Das Ende ist schiere Subversion. Jedenfalls nichts nach dem Geschmack einer Jodie Foster: Sie hat diesmal strikt abgelehnt, die Clarice Starling zu geben.

 

© Gerd F. Marenke, 2001

 

Thomas Harris: Hannibal. (Hannibal). Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Bitz. Heyne Taschenbuch Nr. 01/13233 (1. Aufl. - Hamburg: Hoffmann und Campe, 1999), 541 S., 19.90 DM

 

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