kaliber .38 - krimis im internet

 

License to Write

Gerd Friedrich Marenke über Reginald Hills Roman Das Haus an der Klippe

 Das Haus an der Klippe Wer das Wort "Kriminalliteratur" spricht, neigt besonders im öffentlichen Raum dazu, die letzten vier Silben zu vernuscheln. Das ist mehr als die Hälfte, und gute Demokraten wie wir geben sich geschlagen, ohne lange zu jammern. Dann aber gehen wir nach Hause, lesen Reginald Hills neueste Schwarte und freuen uns, dass es noch Ware gibt, für die eine unter härtestem Einsatz - Marihuana, warmes Dosenbier und Experimente mit Super Learning - erworbene humanistoide Vollbildung ihr Gutes hat. Hypochonder hingegen werden sagen, man brauche die strukturelle Geduld eines Nachtwächters, um diese 512 gebundenen Seiten ohne Nervenverlust lesen zu können. Nachtwächter kontern das gekonnt mit "Nichts gegen dicke Bücher, aber warum schreibt der Mann kein dünneres?"

Macht ja manchmal einfach Spaß, sich der ruhigen Kompetenz eines richtigen Schriftstellers hinzugeben, einen guten, fetten Text durchzuschmökern, interessant erzählt, facettenreich und spannend gestrickt, mit lebendigen, in der Wirklichkeit denkbaren, ja zu vermutenden Figuren, nein, Personen, die fast so sprechen, wie wir das alltags selbst machen und hören, außer wenn Heribert den Franz was fragt.

Ist Reginald Hill so ein Schriftsteller? Vorläufige Antwort: Jein.

Aber lehnen wir uns erstmal zurück in unserem Stuhl. Der Theatersaal ist dunkel, Licht fällt allein von der Rampe auf die Mitwirkenden; sie verneigen sich zum Teil elegant und das gleißende Licht schließt ihre Pupillen bis auf ein winziges Loch.

Da sind:
Serafina "Feenie" Macullum, etwa 70-jährige Tochter eines Rüstungsprofiteurs, dessen hinterlassenen Reichtümer sie für die allmähliche Befreiung der Welt von allen Übeln verbrennt. Feministische Aktivistin und Gründerin der Gruppe ’Liberata', einer Art Amnesty International nur für Frauen.
Patrick "Popeye" Ducannon, ein schier unsterblicher ehemaliger IRA-Mitarbeiter, der zur Sicherung seiner Rente einen Haufen Waffen an den (kolumbianischen) Mann bringen will. Bezahlt wird natürlich in weißer Pulverwährung. Oder auch nicht.
Kelly Cornelius, notorische Geldwäscherin, Kontakterin, Geheimdienstkundin mit viel Verwandtschaft. Haupttäterin, Hauptopfer.
Gawain "Gaw" Sempernel, alternder, sehr britischer Nachrichtenkrämer mit sinkendem Stern.
Eleanor "Ellie" Pascoe, die bei einem schwach inszenierten Entführungsversuch die Oberhand behält, fortan im Zentrum des Interesses steht und Schuldgefühle wegen ihrer kleinen Tochter hat.
Ihr Gatte Peter, Chief Inspector, fühlt sich zunächst als eigentlicher Adressat der Attacken auf seine Frau und hat Schuldgefühle, weil er seine Familie nicht so schützen kann, wie sich das doch gehört für einen Mann.
Andrew "Andy" Dalziel, Detective Superintendent, Vorgesetzter des eben genannten, Leiter einer kriminalpolizeilichen Ermittlungseinheit (CID) in Mid-Yorkshire. Harter Bursche. Häßlich. Böse. Fett. Gut.
Der die das Allwissende, sibyllinische Blättersammlung, mustergültiges Beispiel geheimdienstlichen Perfektionsstrebens, das das Ganze naturgemäß erheblich kompliziert.
In der zweiten Reihe stehen liebe Freundinnen aus dem mittleren englischen Geldlandadel, kolumbianische BefreiungsheldInnen (Sie werden sehen, das Quotierungs-I ist ernst gemeint!) und gegen Ende sogar Meuchel- und Gelegenheitsmörder.
Der große Odysseus macht auch mit, fett und alt, jedenfalls in Ellie Pascoes selbstgeschriebenen Texten, die möglicherweise eine Subtext-Ebene zum Eigentlichen abgeben sollen.
Unbelebte Titelrolle: Ein altes Haus, dessen einziger Feind mit Geld- und Waffengewalt nicht zu befrieden ist: Das Meer, diesseits desselben Blanker Hans genannt.

Wir werden also fortgetragen ins nordenglische Yorkshire, das der Welt nicht nur die Brontë-Sisters geschenkt hat, sondern auch so namhafte Menschen wie Capt'n Cook, Guy Fawkes und Henry Moore. Reginald Hill hat dort viele Jahre gelebt.

Der Plot ist ziemlich albern. Riesenverschwörung um nichts und wieder nichts, denn kein Mensch versteht, warum eine so hilflose Gruppe wie 'Liberata' zum Werkzeug eines geheimdienstlichen Spitzenmanövers und internationaler Geldwäscherei taugen sollte. - Wenn der Klappentext schon von einem "Wespennest aus politischen Intrigen, Kokainschmuggel und Waffenhandel" faselt, kann man gar nicht vorsichtig genug sein. Außerdem ist der Roman manchmal einfach langweilig, weil Hill zu lange braucht, um in die Gänge zu kommen. Lesen Sie das Buch trotzdem. Es lohnt, denn Hill schreibt gut und die Story ist auf ihre Weise stimmig fast bis zum Schluß.

Leider ist ihm das große Finale ein bißchen aus dem Ruder gelaufen. Natürlich hat er alle Beteiligten in das Haus an der Klippe geladen und wir warten geduldig auf das Fiasko, weil irgendwann muß ja mal was passieren. Ein Mordsunwetter knallt nieder, bestehend aus einer hochtheatralen Inszenierung (Ellie), dem tatsächlichen Zugriff der Elemente (alle halb- oder ganztot in einem geborstenen Aquarium) und endlosem Gerede, weil die Beteiligten sich immer wieder gegenseitig erzählen müssen, wer wie warum das alles war. - Ist vielleicht der Haupthaken an dem ganzen Stück: Wir Lesenden sind ja nie dabei gewesen, abgesehen von einer ordentlichen Schießerei am Anfang, mit der aber kein Mensch was anfangen konnte, und noch irgendjemandes alzheimerkranker Daddy einge-mengt wurde, der eigentlich von Glück sagen kann.

Die Dialoge sind ganz gut, auch wenn die Leute manchmal reden, als wären sie nicht ganz dicht: "Er wurde von deinen Leuten mit größerem Interesse unter die Lupe genommen als die Federn einer Fächertänzerin auf einem Polizeiball." Naja, und ob wir unbedingt wissen wollten, welchen Anteil Achilles an der Erfindung der Schafsgabe hatte... - Noch peinlicher, wenn Hill sowas aufsagt: "Sempernel schürzte zweifelnd die Lippen, wie eine alte Jungfer, die einen Vibrator im Sonderangebot sieht." Warum machen Männer das, wenn sie eigentlich einen Frauenroman schreiben?

Dalziel-und-Pascoe-Krimis gibt es seit 1970 ("A Clubbable Woman/Eine Gasse für den Tod"), "Das Haus an der Klippe" ist Fall Nummer 16. Hill ist inzwischen 65 Jahre alt, hat Preise en gros angehäufelt, darunter 1995 den begehrten Diamond Dagger für sein Lebenswerk. Und die BBC hat die Sache erfolgreich verfilmt.

Einen neuen gibt's auch schon, erstmal nur im Original: "Dialogues Of The Dead". Wir sind gespannt, ob Hill zu seiner alten Form auflaufen kann, die er im "Haus an der Klippe" sicher nicht erreicht hat.

Auch der Nachtwächter hat inzwischen ausgelesen. "Hundert Seiten weniger hätten dem Buch gut getan", sagt er, "und ein ausgeruhter Korrektor".

 

© Gerd Friedrich Marenke, 2001

 

Reginald Hill: Das Haus an der Klipppe. (Arms and the Women, 1999). Roman. Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann. Hamburg: Europa Verlag, 2001, gebunden mit Schutzumschlag, 511 S., 48.50 DM

 

Thomas Wörtche Neuerscheinungen Vorschau Krimi-Navigator Hörbücher Krimi-Auslese
Features Preisträger Autoren-Infos Asservatenkammer Forum Registrieren Links & Adressen